Die Leiden des sozialen Chamäleons

Ein Chamäleon besitzt die Fähigkeit, sich seiner Umgebung anzupassen. Indem es seine Farbe wechselt, schützt es sich vor Fressfeinden oder kommuniziert mit seinen Artgenossen. Doch nicht nur Tiere sind in der Lage sich zu tarnen, auch wir Menschen ahmen die Verhaltensweise und Körperhaltung unseres Gegenübers nach. Das passiert ganz automatisch und läuft meist unbewusst ab. Manchen gelingt das so gut, dass man sie in der Psychologie auch als soziale Chamäleons bezeichnet.

Das Nachahmen von Mimik und Gestik ist in Gesprächen nichts Ungewöhnliches. Der Fachbegriff dafür lautet soziale Mimikry und kommt zum Einsatz, wenn wir jemanden besonders sympathisch finden. Wir imitieren also vor allem diejenigen, die wir mögen und mit denen wir auf einer Wellenlänge sein möchten. Laut einer Studie der Universitäten Leipzig und Berlin kommt das beim Gesprächspartner gut an. Denn die nachgeahmte Person gewinnt dadurch den Eindruck, dass sie gemocht wird und sympathisch ist. Mit diesem Vorgehen punkten soziale Chamäleons, wenn es darum geht, die eigene Beliebtheit zu steigern.

Manche haben das Tarnspielt jedoch so weit verinnerlicht, dass es ihnen schwerfällt, die Grenzen zwischen sich selbst und ihrem Gegenüber zu ziehen. Sie passen sich derart an, dass sie beizeiten das Gefühl beschleicht, sich selbst nicht treu zu sein, so als verlören sie sich, sobald sie in Kontakt mit einer anderen Person treten.

Deine Gefühle sind meine Gefühle

In entsprechender Begleitung können soziale Chamäleons die besten Entertainer sein, die perfekten Zuhörer. Doch ihnen selbst fällt es schwer, eine Stimmung vorzugeben oder etwas von sich aus zu evozieren. Aus diesem Grund sind sie oftmals abhängig von der Laune ihrer Mitmenschen. Trifft ein soziales Chamäleon auf ein anderes, kann es schon einmal unangenehm werden, in dem Sinne, dass es beiden misslingt, die Stimmung auf ein angenehmes Level zu heben. Freundschaften dieser Art können durchaus eine tiefe Verbindung aufweisen, aber sie sind immer etwas ruhiger.

Wie fühlt es sich an ein soziales Chamäleon zu sein?

Meist sind es schüchterne und konfliktscheue, oft auch introvertierte Persönlichkeiten, die zum Nachahmungsverhalten neigen. Gleichzeitig spricht es für ein Mindestmaß hoher emotionaler Intelligenz. Doch so gut diese `Taktik` beim Kennenlernen von neuen Leuten auch sein mag, für das soziale Chamäleon ist es gleichzeitig sehr anstrengend, da es sich zwar nicht verstellt, aber sich doch sehr zurücknimmt, um mit seinem Gegenüber zu sympathisieren. Dabei vergisst es schnell mal seine eigenen Bedürfnisse.

Das aktive Zuhören haben die sozialen Chamäleons perfektioniert, kommen dabei jedoch selbst oft viel zu kurz. Ihr ausgeprägtes Mitgefühl macht es ihnen schwer, eine gewisse Distanz zwischen sich und ihrem Gesprächspartner zu wahren. In diesen Momenten scheint es, als hätten sie eine durchlässige Persönlichkeit, die Grenzen zwischen Ich und Du verschwimmen. Umso mehr Zeit brauchen sie hinterher für sich allein oder im vertrauten Kreis ihrer Bezugsmenschen, um sich wieder zu sammeln.

Sozialen Chamäleons kommt es oft so vor, als machten sie den anderen etwas vor und als verrieten sie sich ein Stück weit selbst, weil sie sich den Raum, der ihnen eigentlich zusteht, nicht einzufordern trauen. Es fühlt sich an, als schmiegte man sich immerzu an, als sei man niemals ganz man selbst, aus der Angst heraus anzuecken. Weil sie so konfliktscheu sind, fühlen sie sich oft unsichtbar und ungesehen.

Nimm Raum ein!

Wenn dir das bekannt vorkommt und du darunter leidest, dann solltest du dich darin üben, Raum einzunehmen. Das kann in ganz kleinen Schritten vonstatten gehen. Erzähle beispielsweise etwas über dich, auch ungefragt. So unangenehm es anfangs auch ist, sei präsent, sag auch mal nein, ecke an, versuche dich und deine individuelle Persönlichkeit in Gesprächen einzubringen. Wenn dich etwas belastet, sprich es an, denn auch du hast ein Recht darauf, dass dir jemand aufrichtig zuhört. Mach dich sichtbar und integriere dich in dein soziales Umfeld. Nur so wirst du irgendwann zu einem Chamäleon, das seine Farben selbst bestimmen kann.

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Bildquelle: Pierre Bamin von unsplash, CC0-Lizenz