Freiberuflichkeit

Das habe ich aus 6 Monaten Freiberuflichkeit gelernt

Der Vergleich hinkt

Das sagte schon mein Erdkundelehrer, irgendwo zwischen Claus Kleber Dokumentation und dem Ausmalen von Kartenskizzen. Wenn man allgemein als Mensch schon nach rechts und links schielt und das eigene Leben den vielen anderen gegenüberstellt, dann ist man gerade an diesen schlechten Tagen der Freiberuflichkeit noch prädestinierter dafür. Dabei ging es bei mir gar nicht so sehr um die materiellen Dinge, sondern um das Gefühl, im Kosmos der Super-Erfolgreichen und anerkannten Weltverbesserer ein dickes L auf der Stirn zu tragen. Weil, was sind schon meine Pups-Aufträge gegen XY’s Machtübernahme? Was ist schon mein Schneckentempo gegen die vielen Usain Bolts der freien Marktwirtschaft? Fakt ist aber, dass Vergleiche ja nicht nur sinnlos und schädlich sind, sondern auch unfair der eigenen Entscheidung gegenüber. Die Freiberuflichkeit ist für mich schließlich eine Herzenssache, die sich perfekt an meine Fähigkeiten, Arbeitsmoral und Zukunftsperspektive anschmiegt. Will ich wirklich, was andere haben, und dafür meine Freiheit und Selbstorganisation aufgeben? Bin ich nicht auch stolz wie Bolle auf die kleinen Fortschritte und Erfolgserlebnisse? Ich glaube, Herr S., Sie hatten recht.

 

Kommen’se rein, können’se rausschauen

Mit der Selbstständigkeit betritt man gleichzeitig auch den großen Jahrmarkt der Mythen. Das sind u. a. Dinge, die sich Menschen vorstellen, wenn sie an permanentes Homeoffice denken, und die wahrscheinlich ihren Teil zum aktuellen Freelancer-Hype beitragen. Dazu gehören wohl auch Sprüche in Pinterest-Manier wie „Wähle einen Beruf, den du liebst, und du brauchst keinen Tag in deinem Leben mehr zu arbeiten.” Danke an dieser Stelle an Konfuzius – und Marc Anthony. Solche Aussagen verdienen wirklich einen Stinkefinger, weil sie das Bild vermitteln, dass man als Freiberufler auf rosa Zuckerwatte sitzt und den lieben langen Tag Pinball spielt – und am Ende fliegen die Goldmünzen auch noch aus dem Rechner. Bullshit. Weder ist Selbstständigkeit purer Sonnenschein noch das Nonplusultra. Auch wenn man sich freiwillig dafür entschieden hat und im besten Fall einer echten Leidenschaft nachgeht, fühlt sich diese genauso sehr nach Arbeit an und hat eben ihre Schattenseiten. Nein, ich mache nicht alle Aufgaben gerne, und nein, es gibt Tage, da schmeckt jeder geschriebene Satz nach durchgekautem Hubba Bubba und ich könnte, mit Verlaub, kotzen. Vielleicht lässt man mit der Leidenschaft auch noch mehr Blut und Schweiß, weil sie noch kostbarer ist, weil sie einen fordert und an die eigenen Grenzen bringt. Deswegen ist sie das Ganze zwar wert, aber die Zuckerwatte klebt trotzdem an den Zähnen.

 

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Bildquelle: Unsplash unter CC0 Lizenz