Blick in das Schaufenster eines Reisebüros

Erinnerst du dich?

Warum erinnern wir uns, an die Dinge, an die wir uns erinnern?

Wichtig ist mir immer noch die Frage: Wie stehen wir denn zu unseren Erinnerungen? Ich denke, aus den bisherigen Überlegungen quillt so langsam die Ahnung, dass unsere Erinnerungen uns nicht gehören, sondern, dass sie etwas sind, worum es zu ringen gilt. Allerdings habe ich bislang ausschließlich über Erinnerung als lernbares Wissen nachgedacht. Wie sieht es denn mit Erinnerungen aus, die eigentlich niemand anderem als uns gehören können, weil nur wir zugegen waren, als sie entstanden? Erinnerungen von Erfahrungen, Erinnerung aus unserer Kindheit, Erinnerungen an Schönes, Erinnerungen an nicht-so-Schönes und Schlimmes?

Sind wir, woran wir uns erinnern? Klar, wir denken lieber an all das Schöne, das uns widerfahren ist, als an Trauriges oder gar Traumatisches. Wir wählen also, durch die Pflege unserer Erinnerung, unser Selbst aus. Welche Erfahrungen sind kohärent mit meinem Selbstbild, welche nicht? Das eine wird erinnert, das andere vergessen oder besser: verdrängt.

Das Souvenir: Die schönste Art des Erinnerns

Die schönste Art dieser Form des schönen Erinnerns verkörpert das Souvenir. Es ist die kumulierte Schönheit eines Urlaubs. Das erste Souvenir, das ich mir in meinem Leben gekauft habe, war eine Figur eines bärtigen Seemanns, dem der raue Wind der Nordsee durch die Haare wehte und der sich mannhaft an einem riesigen Lenkrad festhielt, als versuchte er etwas zu kompensieren. Wenn ich die Figur heute in die Hand nehme, erinnere ich mich an Wattwanderungen, an Robben im Jadebusen und an ein Naturkundemuseum, das in liebevoll gestalteten Glasvitrinen Strandgut ausstellte. Wenn ich allerdings meine Mutter nach dem Urlaub frage, dann bekomme ich die Geschichte zu hören, wie ich, während der gesamten Schifffahrt durch den Jadebusen trotzig meinen Blick nicht von den Schiffsblanken abwendete, weil es mir verwehrt geblieben war, die Wahl der mitzunehmenden Süßigkeiten selbst zu treffen.

Ok, meine Erinnerung scheint nicht zu 100% mit den Fakten zu harmonieren. Aber muss sie das? Was das Souvenir, im Gegensatz zu einem Urlaubsfoto oder noch schlimmer -film, ist, ist das Potential eines Urlaubs, nicht dessen Realität. Es ist all das, was an einem Ort passieren kann, das Abenteuerliche, das Schöne, das Außergewöhnliche. Das Souvenir ist der Motor der Sehnsucht: Wenn endlich der Diaprojektor kaputt gegangen ist und die Urlaubsfotos somit unverfügbar, beginnt das Souvenir mit seinem magischen Spiel, in dem all das, was man sich von einem Ort erträumt, mit den eigenen Erfahrungen verschwimmt und zu einer neuen Erinnerung wird – der Erinnerung des perfekten Urlaubs: Mit Robben, ohne trotzige Tränen wegen Süßigkeiten.

Wissen wir jetzt, wem die Erinnerung gehört? Nicht wirklich. Das Einzige, das wir wissen, ist, dass der Erinnerung ein Wille zum Schönen innewohnen muss. Und dieses Wissen muss kritisch genutzt werden. Denn: Nicht alles darf durch die Zeit schön gemacht werden.

Urlaube sind da vielleicht eine Ausnahme.

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Bildquelle: Nastya Dulhiier on Unsplash; CCO-Lizenz