Fenster ins Gehirn: Gedankenlesen leicht erklärt

Ganz spontan fallen mir so einige Situationen ein, in denen ich mir wünschen würde, Gedanken lesen zu können: Etwa, um beim ersten Date zu wissen, was mein Gegenüber nach dem dritten schlechten Witz wirklich von mir denkt oder um meine Chancen nach einem Bewerbungsgespräch realistisch einschätzen zu können.

In diesen Fällen hilft wohl nur warten (oder radioaktives Material essen und auf Superkräfte hoffen), denn mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln wäre so etwas nicht zu bewerkstelligen. Ganz undenkbar ist der Einblick in die Gedankenwelt eines anderen Menschen aber nicht, wie die Forschung zeigt: Der Neurowissenschaftler und Psychologe John-Dylan Haynes hat es geschafft, verborgene Absichten in den Gehirnen freiwilliger Probanden zu entschlüsseln. Diese Erkenntnisse werfen einen Haufen neuer, mitunter auch äußerst philosophischer Fragen auf, mit denen sich John-Dylan Haynes und Matthias Eckoldt in ihrem Buch „Fenster ins Gehirn“ tiefgehender beschäftigen. Dabei bleibt das Buch auch für Laien, die mit Neurowissenschaft oder Hirnforschung sonst nichts am Hut haben, zugänglich. Wir haben mit dem Hirnforscher im Interview gesprochen und ihm einige Fragen gestellt – zum Buch, seiner Forschung und ethischen Belangen.

ZEITjUNG: Wir wissen vermutlich mehr darüber, wie verschiedene Sonnensysteme funktionieren als über die genauen Vorgänge, die sich in unserem Gehirn abspielen – und das, obwohl es doch im Vergleich so viel näher ist. Woran liegt das?

Haynes: Das menschliche Gehirn besteht im Schnitt aus 86 Milliarden Nervenzellen, die jeweils untereinander bis zu tausendfach verschaltet sind. Das ist ein ungeheures Gewirr. Wir kennen derzeit keine Technik, die auch nur annähernd dazu in der Lage wäre, die Vorgänge in all diesen Nervenzellen gleichzeitig zu messen. Und selbst wenn man diese Zellen und ihre Verknüpfungen alle perfekt messen könnte, hätte man nur einen Teil des Rätsels gelöst. Denn wir würden immer noch nicht die „Sprache“ des Gehirns kennen. Vielleicht reicht dafür die Ebene der Nervenzellen auch nicht aus, da diese selbst wieder aus Bausteinen bestehen, die wiederum Informationen verarbeiten. Um das Gehirn richtig zu verstehen, werden wir sicherlich noch eine ganze Weile brauchen.