Sebastian Schramm Krebs Kolumne

Fürs Erste Krebs: Episode #11

Gegen wen kämpfe ich eigentlich?

 

Danach redeten wir nie wieder darüber, nicht einmal meine Mutter, die mich erst darauf gebracht hatte. Vielleicht war die Idee mit dem Namen einfach dumm, geschrieben im Übermut, noch ohne Wissen, was in den nächsten Wochen und Monaten alles passieren würde. Oder sie wollten ihn gar nicht benennen, gespeist aus Angst und Hilflosigkeit. Der Krebs als Voldemort der Medizin.

Mich hingegen ließ der Gedanke nicht los: Welches Gesicht gebe ich einer Krankheit, die ich nicht sehen kann, aber in mir tobt, die sich nur bemerkbar gemacht hatte mit einem geschwollenen Lymphknoten am Hals, dem Gefühl einer nicht enden wollenden Trägheit und trockenem Husten? Ich rief für mich einen Kampf aus. Jeder Tag mit ihm sollte eine Schlacht werden. Ich gegen ihn. Alles machte ich zu einem Wettkampf: Der Spaziergang durch mein Dorf, obwohl ich wegen der Medikamente kaum stehen konnte. Die Radtour, die ich bis zum Ende durchzog, obwohl mir der Körper schon nach einem Kilometer mitteilte, er würde nicht mehr können. Ich fuhr zehn. Der Lauf bei Regen, der erste nach der Diagnose, der Körper nach vier Chemotherapien nur noch eine billige Kopie des Originals. Medizinisch war das eine Katastrophe, mein Onkologe hatte mir Anstrengungen verboten.

Für mich waren es Siege, das betörende Gefühl, stärker als er zu sein –  einem Killer zu trotzen. Mit jeder Schlacht sah ich ihn klarer, mein Kopf fing an, den Krebs zu personifizieren. Er war nicht länger ein Tumor von der Größe einer Faust. Ich erschuf einen 1,90 Meter großen Kerl, muskelbepackt, kantiges Gesicht, die Aura eines Gladiators. Wie stark und mutig musste ich sein, es mit ihm aufzunehmen? Aus dem immer währenden Kampf zog ich mein Selbstbewusstsein. Anders war es mir nicht möglich: ohne Arbeit, ohne Alltag, der verstörende Blick in Spiegel, der einen vergessen ließ, wie man früher einmal ausgesehen hatte. Ich stellte mir vor, wie es wäre, ihn abseits unserer Kämpfe zu treffen, mich mit ihm zu unterhalten. Nüchtern und sachlich, nicht mit Hass oder Wut. Die ständigen Siege entspannten.

 

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Auf einen Kaffee mit meinem Krebs

 

Ein lauer Sommertag in meinem Lieblingscafé. Ich saß schon da, auf der länglichen rot-braunen Bank mit dem weißen Beistelltisch, hinter mir hörte ich das Ächzen der Kaffeemühle und der Geruch von frisch gerösteten Bohnen drang durch die Eingangstür. In ein paar Minuten würde er da sein. Ich rührte in meinem Cappuccino. Was fragst du jemanden, der dein Leben beenden will? Eigentlich fiel mir nur die eine Frage ein. Nur: Was würde er schon darauf antworten? Ich hatte mir längst geschworen, sie nicht zu stellen. Nicht vor mir, nicht vor anderen. Sie würde immer ein Zeichen von Schwäche sein. Sie lähmte, trübte den Blick, ließ Kraft verschwinden, wo ich sie dringend benötigte, in jedem unserer Duelle. Aber wenn er sie doch beantworten könnte? Vielleicht würde ich dann aus den Fehlern lernen, ein neuer und besserer Mensch werden. Ein Räuspern riss mich aus meinen Gedanken. „Herr Schramm, richtig?“ „Oh ja, entschuldigen Sie. Ich hatte Sie nicht kommen sehen. Setzen Sie sich doch.“ Er bestellte einen Latte Macchiato mit Sirup. Viel davon, rief er dem Barista noch hinterher, als er schon andere Kunden bediente. Von Zucker könnte er gar nicht genug bekommen, erzählte er, während er sich eine Zigarette ansteckte. Der erste Zug, er blies den Qualm genüsslich in meine Richtung. Er sagte nichts. Dafür sah er mich an, ein angedeutetes Lächeln, arrogant, nur der rechte Mundwinkel zog nach oben. Als forderte er mich heraus.

„Sehen Sie“, sagte er, „ich weiß, was Sie fragen wollen. Fragen Sie einfach, haben Sie keine Angst, seien Sie mutig. Waren Sie doch immer.“

„Warum?“

Er nickte. Sein Blick wanderte von rechts nach links, er ließ ein Pärchen passieren. Nummer sicher. Niemand sollte hören, was er mir zu sagen hatte. „Ich wollte sehen, wie Du zugrunde gehst. Ich wollte Dir zeigen, wie schwach Du bist.“