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Ghosting: Hört endlich auf zu verschwinden!

Wer kennt ihn nicht, den wiederkehrenden Blick aufs Smartphone, dieses kaumgummilange Warten auf ein Brummen, ein blaues Leuchten, eine Antwort. Manchmal ist dieses Warten von kurzer Dauer, manchmal zieht es sich über Tage oder Wochen, bis du realisierst: Da kommt nichts mehr.

Kann man machen, sollte man aber nicht

Neu ist das nicht. Ghosting als Phänomen gibt es schon länger. Aber es ist immer noch feige, peinlich und zeugt von schlechten Manieren. Es regt immer noch und immer wieder auf. Zugegeben: Ich habe auch einmal jemanden geghostet. Blöd nur, dass mir dieser Jemand dann später im Supermarkt über den Weg gelaufen ist. Erklärungsnot, rote Ohren, das volle Programm, höchst unangenehm. Ich habe daraus gelernt, auch, weil es mir anschließend selber widerfahren ist, mehrfach. Mal viel zu tun haben, nicht die ganze Zeit am Handy hängen, alles nachvollziehbar. Aber einfach nicht mehr antworten, gezielt, in der Hoffnung, der Mensch am Ende der Leitung wird schon verstehen, dass du verletzt, genervt oder schlicht gelangweilt bist und dann von alleine die Reißleine ziehen – das ist nicht okay, absolut nicht. Du bleibst diesem Menschen eine Antwort schuldig, du legst ein Verhalten an den Tag, dass dir im direkten Kontakt nie einfallen würde und trotzdem ist es unter den Twentysomethings so verbreitet, dass wir einen eigenen Begriff dafür gefunden haben. Nur: Warum können wir nicht einfach auch online sagen, dass etwas nicht passt oder vorbei ist, sei es in Freundschaften oder in Bezug auf Dates? Warum entscheiden wir uns für den Weg des geringsten Widerstands, anstatt Rückgrat und Respekt zu zeigen? Und, noch schlimmer: Warum versuchen wir Ausreden dafür zu finden, dass Ghosting in Ordnung ist?

Ein bisschen Empathie, ein bisschen Achtung

Die Antwort: Weil wir es können. Weil in deinem Verlauf bei Whatsapp niemand vor dir steht, dem vielleicht nicht passen könnte, was du gerne antworten wollen würdest. Weil du dich mit keiner direkten Reaktion auseinandersetzen musst. Eine Studie aus dem Jahr 2018 belegt, dass Ghosting bezogen auf das Liebesleben vieler Millenials noch immer ein Trend ist. Aber wo liegen die Gründe? „Menschen, die zu Ghosting neigen, scheuen Auseinandersetzung und möchten jeden Konflikt vermeiden.“, schreibt die Paartherapeutin Ulrike Fuchs. Es scheint also ein Phänomen der Generation Y zu sein, sich in als zu persönlich empfundener Online-Kommunikation möglichst unauffällig vom Acker zu machen. Zu nah vielleicht, zu schnell, zu langweilig? Shutdown, abhaken. Der Gedanke, wie es dem anderen Menschen wohl damit gehen könnte, ist zwar nicht angenehm, aber leicht zu verdrängen, gemessen an dem Irrglauben, man würde sich nach diesem Kontaktabbruch nie wieder über den Weg laufen. Dabei kann ein solches Verhalten für das virtuelle Gegenüber verheerende Konsequenzen haben: „Selten geben die Alleingelassenen den Ghostern die Schuld, sondern oft sich selbst. Gedanken, was man hätte alles besser machen können, drängen sich immer wieder auf. Schuldgefühle und Selbstvorwürfe können das Selbstwertgefühl eines Menschen empfindlich verletzen.“, so die Paartherapeutin Fuchs. „Die Folgen der Ghosting-Erfahrung können mehrere Monate und manchmal sogar Jahre anhalten.“

Stimmt. An schlechten Tagen monstert jemand ab und an noch immer in meinem Kopf herum, wandert meine Gedanken auf und ab, schiebt sich vor wichtige Entscheidungen oder wabert beständig im Hintergrund herum. Ob auf der Rolltreppe, bei der Arbeit, in der Bahn, plötzlich übermannt dich der Gedanke an den anderen Menschen und du fragst dich: Was wäre, wenn? Wenn es eine Erklärung für all das gegeben hätte? Wenn ihr hättet reden können? Wenn ihr euch nochmal über den Weg laufen würdet? Was würdest du sagen? Warum? Selten enden solche Gedankengänge mit Frieden im Kopf. Du wirst dich zwingen müssen, die Reißleine irgendwann selber zu ziehen, ohne endgültiges Ergebnis, einfach, weil du nicht mehr weiterweißt. Traurig, vielleicht wütend, hoffentlich resigniert. Schön ist das nicht, im Gegenteil. Bewahre dir dieses Bild. Hole es hervor, wenn du das nächste Mal darüber nachdenkst, dich einfach nicht mehr zu melden. Überwinde dich, schreibe diese Nachricht, rufe an oder fahre vorbei, aber bringe diesem anderen Menschen das Stück Achtung entgegen, das er verdient.

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Bildquelle: Unsplash unter CCO-Lizenz