Stau auf Autobahn

Hassobjekt: Gaffer

Jeder kennt sie, jeder hasst sie und doch brauchen wir sie wie die Luft zum Atmen: Nervige Klientele und unnütze Gegenstände des Alltags, über die man sich so richtig schön echauffieren kann – da geht es den ZEITjUNG-Autoren nicht anders. Deshalb lassen wir unserer Wut in der Reihe „Hassobjekt“ einfach freien Lauf und geraten überspitzt in Rage. Eins ist sicher: Nichts ist uns heilig und keiner wird verschont. Dieses Mal auf der Abschussliste: Gaffer.

Ein kleines Geständnis meinerseits: Ich bin unglaublich froh, dass es diese Kategorie hier gibt, denn wenn ich aktuell eins habe, dann ist es Frust. Umso schöner, dass ich hier mal meiner Wut verbal Luft machen kann. Also, wer heute keine Lust auf schlechte Laune oder das Gemecker wildfremder Menschen im Internet hat, der steigt hier besser aus. An alle anderen: Willkommen auf der genervten Seite des Internets. Schnappt euch Liegestuhl und Fernglas und genießt die Show!

Spaß beiseite.

Die Flutkatastrophe in Deutschland ist nun eine gute Woche her. Die Aufräumarbeiten sind im vollen Gange und Betroffene wie Helfer*innen sind am Rande ihrer Kräfte. Erst tagelang Hitze, dann eine Woche Regen am Stück. Kleine Bäche wurden zu reißenden Flüssen, ganze Häuser weggeschwemmt, berufliche und private Existenzen dem Erdboden gleich gemacht. Menschen haben ihre Familien verloren, nachdem sie es geschafft hatten, ihre Lieben über anderthalb Jahre Pandemie gesund und nah bei sich zu halten. Vermisstenaufrufe fluten immer noch jeden Tag die sozialen Medien, Radiosender koordinieren Hilfsangebote. In weiten Teilen NRWs gibt es immer noch keinen Strom, kein sauberes Wasser, keinen Handyempfang. Das ist nicht irgendeine Insel in der hintersten Ecke des Pazifiks, das passiert hier. Jetzt gerade. Da sag nochmal einer es gäbe keinen Klimawandel.

Oder wie Armin Laschet (CDU) es ausdrückte:

„Aus irgendeinem Grund ist das Klimathema plötzlich (!) zu einem weltweiten Thema geworden.“

Ich wohne in Giesendorf, einem kleinen Ort in NRW, nur wenige 100 Meter vom Braunkohletagebau entfernt. 40 Minuten bis nach Euskirchen, 30 Minuten bis nach Erftstadt. Meine Schwester und ihr Freund wohnen in Stolberg, viele meiner Freunde in Köln oder Düsseldorf, meine Großeltern in der Nähe von Bad Münstereifel. Wie durch ein Wunder ist niemandem etwas ernsthaft Schlimmes passiert. Ja, ein paar Keller liefen voll, manche bekamen nasse Füße, meine Schwester hatte bis Sonntag keinen Strom und quartierte sich für ein paar Tage bei meinen Eltern ein. Man hilft sich untereinander. Wie immer. 

Bei Freunden und Bekannten verlief die Flutkatastrophe leider nicht so glimpflich. Viele verloren ihre Häuser, suchen jetzt mit ganzen Familien nach einer neuen Bleibe. Nach dem Wasser kam der Schlamm, nach dem Schlamm die Verzweiflung. Zunächst dachten wir noch: „Ach komm, zwei Tage Aufräumen, dann geht das wieder!“ Dass das nichts wird, ist uns heute allen bewusst.

Mein Vater arbeitet in einem Recyclingunternehmen. Normalerweise kümmert man sich dort um PET und Papier. Seit Freitag letzte Woche (16. Juli) kümmert man sich um Schrott, Sperrmüll und Gerümpel. Die Überreste von ganzen Dörfern. Zur Erklärung, mein Dad ist kein sonderlich emotionaler Mann. 1,80 Meter groß, Mitte 50, ein kühler Kopf. Freitagabend kam er heim, verdreckt und völlig fertig. Und als er anfing zu erzählen, rollten ihm die Tränen nur so über das Gesicht. Er berichtete von Menschen, die von oben bis unten mit Dreck bedeckt waren, von einer nicht abreißenden Flut von Containern voller Schrott, von Bundeswehr und Rettungskräften, verschwundenen Straßen, Siedlungen, Existenzen.

Aber auch von Hilfe, die nicht durchkam, weil Schaulustige mit ihren Autos die Wege versperrten, die sowieso schon kaum passierbar waren. Von Menschen, die ihre Handys zückten und Fotos mit zerstörten Gebäuden machten, anstatt mit anzupacken. Videoaufnahmen von schwimmenden Autos und Wohnwägen kursierten im Internet, Bilder von den Evakuierungen, aufgenommen mit wackeligen Handykameras.