Stau auf Autobahn

Hassobjekt: Gaffer

Warum gibt es Gaffer?

Ich erzähle das hier nicht, um Mitleid zu erregen. Ich schreibe es auf, um eine persönliche Perspektive anzubieten. Um meiner Empörung Luft zu machen.

Mir ist schon klar, dass der Voyeurismus in jedem von uns zu einem gewissen Teil verankert ist. Er ist evolutionstheoretisch überlebenswichtig. Bin ich selbst bedroht? Besteht Gefahr für meine Familie? Wie verhalte ich mich, wenn mir mal etwas Ähnliches passieren sollte? Wir lernen durch Zusehen. Von klein auf. Alles nachvollziehbar.

Was mich wütend macht, ist diese perfide Schadenfreude. Als wäre der Lieblings-Thriller auf einmal Wirklichkeit geworden. Man ist nicht wirklich selbst betroffen, aber man geht sich mal anschauen, was hätte passieren können. Gaffer sind auf der Suche nach dem Kick. Der kontrollierbare Schauer, der sich unaufhaltsam einstellt, wenn man das Elend direkt vor Augen hat. Ein wohliges Gefühl. Man kann Mit-Leiden, durch das Schicksal des anderen, aber man kann sich auch rumdrehen und gehen, wenn es einem zu nahe geht. Das können die Betroffenen selbst nicht.

Hinzukommt, dass sich in Zuge von Katastrophen wie der soeben geschilderten eine Art rechtsfreier Raum eröffnet. Bereits kurz nach der Flut gingen in Stolberg die Plünderungen los. Zerstörte Läden wurden ausgeräumt, Geld aus Kassen gestohlen, Lebensmittel und Spielzeug entwendet. Ein Mann stieg sogar in ein Juweliergeschäft ein, um sich im Chaos zu bereichern.

Ich komme nicht umhin das Verhalten der Gaffer mit Hinrichtungen im Mittelalter zu vergleichen. Der Beschuldigte steht auf dem Schafott und der Zuschauer kann sich auf der guten, auf der richtigen Seite wähnen. Immer mit dem schadenfrohen Gefühl in der Magengegend: „Besser er, als ich.“ Je näher dran am Geschehen, desto besser, aber bloß nicht tauschen wollen. Mitleid ist eben einfacher als Anpacken.

Alle großen Medien haben über die Massen an Katastrophentouristen berichtet, die sich um die Flutopfer und Orte wie Blessem oder Stolberg tummelten. Gaffer, die „die Macht der Natur mal mit eigenen Augen sehen wollen.“ Schaulustige, die das Leiden der anderen mit ihren Smartphones dokumentieren und für das eigene Heimkino-Horrorkabinett festhalten.

Und als wäre das nicht schon makaber genug, behindern sie dabei auch noch die Rettungskräfte. Polizei, Feuerwehr, Taucher, THW, Bundeswehr. Menschen, die das eigene Leben riskieren, um den Betroffenen zu helfen. Widerlich und abstoßend ist das. Es tut mir leid, aber ich finde keine anderen Worte dafür.

Deswegen hier meine Bitte an alle, die auch nur mit dem Gedanken spielen „sich doch mal selbst ein Bild von der Lage“ machen zu wollen:

Bleibt mit eurem Hintern daheim, wenn ihr nichts Sinnvolles beizutragen habt. Wählt Parteien, die sich für den Klimaschutz einsetzen. Überweist Geld an die verschiedenen Spendenkonten und überlasst verdammt nochmal die Berichterstattung den Profis. Niemand braucht das 1000. Bild der zerstörten A1 in seinem Newsfeed. Und denkt mal darüber nach, wie es euch gehen würde, wenn ihr diejenigen wärt, die auf einmal behandelt werden wie Tiere im Zoo – obwohl ihr alles verloren habt, was euch lieb und teuer ist, während ihr nicht einmal wisst, ob eure Versicherung überhaupt greift.

Seid lieb zueinander!

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Bildquelle: Pixabay, CC0-Lizenz