Klassengesellschaft: Jens Spahn plant Raster-Therapie
Für Depressionen eine 30-stündige therapeutische Behandlung und für eine posttraumatische Belastungsstörung höchstens 50 Stunden? Was wie ein dystopisches Szenario wirkt, könnte in Zukunft bitterer Ernst werden. Der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn möchte ein Sammlungsgesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG) auf den Weg bringen. Durch die Änderungen des Gesetzes würden sich die Maßstäbe für die Beratung von psychisch kranken Menschen stark verändern. Aufgrund dessen hagelt es viel Kritik von Betroffenen und der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK).
Einer NAKO-Gesundheitsstudie zufolge leiden während der Corona-Krise vermehrt Menschen unter 60 Jahren an Angststörungen oder Depressionen. Leider stehen viele neuen Patient*innen vor dem Problem, nicht privat versichert zu sein und müssen sich dementsprechend auf lange Wartezeiten (im Schnitt sechs Monate) für einen Therapieplatz einstellen. Schuld daran sind die Berechnungssysteme der Kassenärztlichen Vereinigung, die sich nicht an die steigende Behandlungsnachfrage angepasst haben. Ohne entsprechende Kassenzulassung können Therapeut*innen nur Privatversicherte oder Selbstzahler behandeln. Diesem Problem will das Bundesgesundheitsministerium entgegenwirken und entwirft einen Gesetzesentwurf, der die Therapieplatzsuche erleichtern soll. Anstatt jedoch neue Kassensätze zu ermöglichen, wodurch Ärzt*innen auch gesetzlich krankenversicherte Patient*innen behandeln dürfen, entwirft Jens Spahn in letzter Sekunde ein Bewertungssystem, welches psychische Beschwerden in ein festes Behandlungsschema einteilt. Zu Beginn der Therapie wird also eine Diagnose aufgestellt, die den Schweregrad der Erkrankung und die Dauer der Behandlung bestimmt.
Kritik der sozialen Netzwerke und des BPtK
Die Bundespsychotherapeutenkammer empfindet die Raster-Psychotherapie als „[…] oberflächlich und lückenhaft“ und als „[…] das Ende qualitativ hochwertiger und an der einzelnen Patient*in orientierten Versorgung.“, so der Präsident der BPtK Dr. Dietrich Munz. Auch in den sozialen Netzwerken findet man unter dem Hashtag RasterPsychotherapie zahlreiche kritische Stimmen, die sich gegen den Gesetzesentwurf aussprechen. Kritisiert wird, dass am Anfang der Behandlung durch das Raster festgelegt werden soll, wie viele Behandlungsstunden den Patient*innen aufgrund der jeweiligen Erkrankung zustehen. Da psychische Probleme oft sehr komplex sind, finden es viele Betroffene fragwürdig, zu Beginn der Therapie eine Diagnose zu stellen und davon auszugehen, dass diese sich im Laufe der Behandlung nicht erweitert, verändert oder gar verworfen werden könnte.