Reichelt-Rauswurf: Der Skandal im Skandal
Am Montag hat der Axel Springer-Verlag BILD-Chefredakteur Julian Reichelt von seinen Aufgaben freigestellt, nachdem man, wie der Verlag selbst mitteilte, „in den letzten Tagen neue Erkenntnisse über das aktuelle Verhalten von Julian Reichelt gewonnen“ hatte. Schon im Frühjahr dieses Jahres hatte es ein erstes Compliance-Verfahren gegen Reichelt gegeben, als Vorwürfe des Machtmissbrauchs lautwurden. Wirklich nachweisen konnte man ihm damals wenig, Reichelt durfte bleiben.
Jetzt entschloss man sich doch, ihn zu entlassen, weil, wie der Verlag weiter mitteilte, „Julian Reichelt auch nach Abschluss des Compliance-Verfahrens im Frühjahr 2021 Privates und Berufliches nicht klar getrennt und dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt hat“. Konkret heißt das: Reichelt soll sexuelle Beziehungen vor allem zu Volontärinnen und Praktikantinnen geführt haben. Diese seien zwar einvernehmlich gewesen, dennoch geht es natürlich um das Ausnutzen von Machtpositionen. Seine zweite Chance hat Reichelt also nicht genutzt.
Die Reaktionen auf die Entlassung sind verschieden: Während in der linken Bubble die Korken knallten, dass der für seinen reißerischen, in den Populismus gehenden Stil bekannte BILD-Chefredakteur gefeuert wurde, kam aus dem Umfeld der BILD viel Lob und Dank für den nun ehemaligen Chefredakteur.
Angriff auf die Pressefreiheit?
Auch wenn sich einige freuen, dass Reichelt nun abgesetzt wurde, wird scharfe Kritik geäußert – jedoch nicht an Axel Springer oder der BILD, sondern an Dirk Ippen. An wem? Es braucht ein paar Hintergrundinformationen:
Dirk Ippen ist Verleger der fünftgrößten Zeitungsgruppe Deutschlands und verlegt Zeitungen wie den Münchner Merkur oder die Frankfurter Rundschau. Zu seiner Zeitungsgruppe gehört auch das Investigativ-Team „Ippen Investigativ“, das ehemals Teil von BuzzFeed Deutschland war. Damals arbeitete ein Mitarbeiter, der mittlerweile Medienredakteur bei der New York Times ist, noch für das Investigativ-Team. Ippen Investigativ und der Mitarbeiter der New York Times haben die Presserecherchen durchgeführt, die zu den entscheidenden Erkenntnissen für Reichelts Entlassung führten.
Dirk Ippen setzte, als die Ergebnisse der Recherchen veröffentlicht werden sollten, mit der Begründung, man wolle nicht den Anschein erwecken, anderen Wettbewerbern schaden zu wollen, sein Veto ein – und erntete Kritik. Die New York Times berichtete dagegen über die Ergebnisse. Ippen Investigativ selbst teilte in einem offenen Brief an die Verlagsleitung mit, man sei schockiert über die Entscheidung, es widerspreche allen Grundsätzen der unabhängigen Berichterstattung. War das also ein Angriff auf die Pressefreiheit?
Der Aufschrei war verständlicherweise groß. Tatsächlich ist es unüblich, dass Medienhäuser über andere Wettbewerber berichten. Ippens Begründung sei aber nicht mehr zeitgemäß und nicht haltbar. Mittlerweile wurden Teile der Recherchen im Spiegel veröffentlicht. Die Ippengruppe versuchte bereits, sich zu rechtfertigen: „Wir stehen als Mediengruppe Ippen ganz klar dazu, dass Redaktionen frei und unabhängig arbeiten können und arbeiten müssen. Gleichzeitig hat ein Verleger immer das Recht, Leitlinien festzulegen, und es ist auch normal, bei großen Recherchen die Rechtsrisiken gemeinsam abzuwägen.“ Eine schwache Begründung, wenn man bedenkt, dass die Recherche-Ergebnisse von allgemeinem öffentlichen Interesse sind – und das sollte immer Vorrang haben.
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