7 Fragen, 7 Antworten: Wie funktioniert nachhaltige Landwirtschaft?

Unsere Ernährung ist einer der Hauptfaktoren für den Klimawandel. Weil wir das ganze Jahr über Erdbeeren und Tomaten essen möchten, werden anderswo Menschen und Umwelt systematisch ausgebeutet. Außerdem werden Jahr für Jahr tonnenweise Lebensmittel weggeworfen.

Jeder weiß, was Sache ist, kaum einer, was man tun kann

Durch die Klimademonstrationen dürfte mittlerweile jedem klar sein, dass sich etwas verändern muss. Was genau jeder Einzelne machen kann, ist jedoch häufig unklar. ZEITjUNG hat mit Rajka Sickinger-Nagorni von der Gemeinschaft ‚Kartoffelkombinat‘ über das Projekt, über nachhaltige Landwirtschaft und die Verantwortung des Konsumenten gesprochen.

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Zuerst einmal ganz allgemein: Was macht ihr in dem Projekt ‚Kartoffelkombinat‘?

Das Kartoffelkombinat ist eine genossenschaftlich organisierte Gemeinschaft von über 1.600 Haushalten aus München und dem Münchner Umland, die sich durch eine lokale selbstverwaltete Versorgungsstruktur mit regional erzeugtem Bio-Gemüse versorgt. Dadurch macht man sich unabhängig von industrieller Agrarproduktion, die Ausbeutung, Verschwendung und Vermüllung verantwortet.
Wir stellen eine Alternative zum aktuell existierenden Wirtschaftskonstrukt dar. Vor dem Hintergrund des Preiskampfes in der Lebensmittelbranche führt dieser Druck zur Qualitätssenkung, Lohndumping und Externalisierung von Verantwortung und Kosten. Wir wirtschaften gemeinwohlorientiert und möchten unsere eigene Ernährungssouveränität zurückerobern. Das Kartoffelkombinat ist mittlerweile die mitgliedsstärkste solidarische Landwirtschaft in Deutschland.

Bildquelle: Kartoffelkombinat

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Wie ist die Idee, über das ‚Kartoffelkombinat‘ nachhaltige Lebensmittel anzubieten, entstanden?

Daniel Überall und Simon Scholl haben sich 2012 kennengelernt und gemeinsam das Kartoffelkombinat gegründet. Beide hatten von Landwirtschaft keine Ahnung, Daniel ist Kommunikationswissenschaftler und Simon Betriebswirt. Dennoch haben sie sich in der Verantwortung gesehen etwas zu verändern. Abgezeichnet hatte sich das, indem Daniel vor dem Kartoffelkombinat bereits Imker wurde und die Stadtimker gegründet hat. Simon hat den „O’pflanzt is“ Garten am Ackermannbogen mitgegründet. Es ging beiden nicht darum, in einem immergleichen System „besser“ zu konsumieren, sondern die Grundlage des Konsumententums in Frage zu stellen. Daniel und Simon wollten eine Alternative zum aktuell existierenden Wirtschaftskonstrukt schaffen. Aus diesen Gedanken heraus ist das Kartoffelkombinat entstanden und versorgt mittlerweile über 1.600 Haushalte in München mit Bio-Gemüse aus der eigenen Gärtnerei bei Mammendorf bei München.

Bildquelle: Kartoffelkombinat

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Welche Schwierigkeiten habt ihr mit dem ‚Kartoffelkombinat‘?

Tagtäglich sehen wir uns auf dem Feld und im Gewächshaus der Natur und ihren Launen ausgesetzt. Schädlinge, Wetterkapriolen und Bodenbeschaffenheiten sind ein komplexes Arbeitsgebiet, und es gilt immer wieder flexibel und vorausschauend zu agieren, um eine gute Ernte für unsere Mitglieder zu erwirtschaften, unsere Böden nicht auszulaugen, sondern zu pflegen und zu fördern, andere Lebewesen zu schützen und einen lebendigen Betrieb mit gemeinsamer Kraft zu betreiben. Zudem ist es auch nicht einfach, unsere Idee möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen, und die tatsächlichen Kosten einer Mitgliedschaft klein zu halten. Da wir quasi Planwirtschaft betreiben und gemeinwohlorientiert arbeiten, ist die Kostenplanung und das Controlling schwierig.

Bildquelle: Unsplash unter CC0 Lizenz

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Was kann jeder Einzelne tun, um sich für mehr Nachhaltigkeit zu engagieren?

Mehr Interesse an den Konsequenzen des eigenen Konsums zeigen. Gemüse aus der Region zu beziehen, ist ein guter Start. Es geht nicht nur um Bio und die eigene Gesundheit, sondern auch um die CO2-Bilanz des Transports (Stichwort: „Bio aus Almeria“), Arbeitsbedingungen im Anbau (saisonale Arbeitslosigkeit, Höhe der Löhne etc.), Behandlung des Bodens (Überdüngung, Nährstoffrückführung) und den Umgang mit Ressourcen, wie Wasser (Senkung des Grundwasserspiegels). Die versteckten Kosten, die unserem Konsum folgen, bzw. vorgelagert sind, sollte jeder bedenken und die Kaufentscheidung danach ausrichten. Generell viel weniger zu konsumieren ist ein wichtiger Punkt – deshalb ist die DIY-Bewegung tollerweise so schnell so stark gewachsen und eng mit dem Schlagwort „Nachhaltiger Konsum“ verbunden.

Bildquelle: Kartoffelkombinat

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Was glaubst du müsste passieren, um ein gesellschaftliches Umdenken in diesem Bereich zu ermöglichen?

Die tatsächlichen Kosten der Produkte, die wir konsumieren müssten sich auf dem Preisschild im Supermarktregal abbilden. Menschen in Anbauregionen werden dafür, dass wir ganzjährig Tomaten aus Almeria auf dem Teller haben wollen, auf menschenrechtsverachtende Weise ausgebeutet, Existenzgrundlagen werden aufgrund des immensen Wasserverbrauchs zur Produktion von Superfoods für den europäischen Markt in trockenen Regionen dieser Welt zerstört, Tonnen von CO2 werden jeden Tag in die Atmosphäre gepustet, da wir alles online bestellen, selbst vom Supermarkt nebenan. Diese Auswirkungen sind eigentlich „Kosten“ die andere zu tragen haben, dafür dass es uns so richtig gut geht. Solange sich dies in den Preisen nicht niederschlägt und so in das Bewusstsein der Gesellschaft eindringt, wird unser Konsum sich nicht verändern und die Umweltzerstörung durch Profitbestrebung weitergehen.

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Wie sehen eure Pläne für die Zukunft aus?

Wir arbeiten daran unseren Betrieb weiter auszubauen und bis Ende 2020 bis zu 1.800 Haushalte mit Kartoffelkombinat-Gemüse zu versorgen. Dann haben wir unsere Soll-Größe erst einmal erreicht. Wie es dann weitergeht, werden wir innerhalb der Genossenschaft besprechen. Ob ein neues Kartoffelkombinat entsteht, um weitere Haushalte aufzunehmen, oder eine weitere Versorgungsstruktur in einem anderen Bereich, wird sich zeigen.

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Wenn du eine Gesellschaftsutopie real erschaffen könntest, wie sähe diese aus?

Eine Gesellschaft in der solidarischer gelebt wird, in der wir keine Profitbestrebungen vor die Menschenwürde und die Inkaufnahme von Umweltzerstörung stellen.

Eine Gesellschaft, die sich Ihrer Verantwortung gegenüber Mensch und Natur bewusst ist und ein politisches System etabliert, das es ermöglicht, die Wahlkampf-Versprechungen von Politikern verbindlich umsetzen zu lassen.

Eine Gesellschaft in der finanzielle Ungerechtigkeit nicht außer Kontrolle geraten ist und in der wir ein Wertesystem einbetten, das nicht auf Geld basiert, sondern auf dem Gemeinwohl.

Bildquelle: Unsplash unter CC0 Lizenz

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Beitragsbild: Unsplash unter CC0 Lizenz