Komplimente dienen oft auch zur Manipulation

Komplimente: Wertschätzung oder Manipulation?

Komplimente begegnen uns häufig in unserem Alltag. Aber oft sind die nicht so nett gemeint, wie sie sich anhören. Aber wann ist ein Kompliment wirklich echt? Wieso nutzen viele es zur Manipulation? Und wie wichtig sind Komplimente in Beziehungen?

Ich kann mich daran erinnern wie gestern: ich war noch im Kindergarten, ich und eine Freundin haben eine neue Sportart ausprobiert. Und da war dieses Mädchen, das gesagt hat, dass ihr mein T-Shirt gefällt. Ich habe mich so darüber gefreut, dass sich die ganze Situation in meinen Kopf eingebrannt hat – bis heute. Allein daran merkt man schon, wie mächtig Komplimente eigentlich sind. Nur leider musste ich mit der Zeit lernen, dass sie oft mehr mit Manipulation als mit Aufrichtigkeit zu tun haben.

Ich habe diese eine Freundin, die jedem Menschen Komplimente macht. Ständig und überall. Sie wirft nahezu mit ihnen um sich. Auch, wenn offensichtlich ist, dass sie so nicht gemeint sind. Da war zum Beispiel die eine Mitbewohnerin, die verschlafen und fertig aus ihrem Zimmer gekommen ist. Die Haare waren verknotet, das Gesicht leicht angeschwollen. Meine Freundin sieht sie und sagt ihr, wie toll und wunderschön sie doch heute aussehe. Nicht, dass sie nicht gut aussieht. Das ist es nicht. Nur war klar, dass dieses Kompliment einzig und allein dazu diente, in ihrer Gunst aufzusteigen.

Und es hat funktioniert. Es ist bewiesen, dass Komplimente die Glückshormone anregen. „Komplimente sorgen in unserem Gehirn für Bewegung. Es werden Glückshormone ausgeschüttet wie beispielsweise Oxytocin, das zwischen Menschen für Verbundenheit sorgt“, erklärt Wissenschaftlerin Judith Mangelsdorf, Direktorin der Deutschen Gesellschaft für Positive Psychologie, gegenüber der Zeit. Vor allem am Anfang von Beziehungen werden Komplimente deswegen benutzt, um sich beliebt zu machen. Der Neurologe Gerhard Roth vergleicht Komplimente mit Drogen. Der Mensch sei süchtig nach Lob und Anerkennung. Gleichzeitig seien Komplimente laut Roth jedoch auch oft Giftpfeile.

Die Erfahrung habe ich auch gemacht. Eine andere Bekannte machte mir immer absichtlich dann Komplimente, wenn klar war, dass das Gegenteil der Fall ist. Es gibt da beispielsweise ein Foto, auf dem ich alles andere als vorteilhaft getroffen bin. Ich weiß das und meine Bekannte weiß das auch. Trotzdem betont sie ständig, wie gut ich doch darauf aussehen würde. Ich bin mir sicher, dass sie damit nur eines erreichen will: Mich daran erinnern, dass ich es nicht tue. Eine Beleidigung – getarnt als Kompliment.

Davon gibt es viele. „Du siehst jetzt echt gesund aus“ kann so viel heißen wie „Du hast echt zugenommen.“ Oder „Du traust dich was mit dem Oberteil“ bedeutet viel eher „Du hast es ganz schön nötig heute“. Aber wie kann ich ein echtes Kompliment von einem falschen unterscheiden?

Laut Psychotherapeutin Christine Geschke sollte man vorsichtig sein bei Komplimenten von Menschen, die man noch nicht so gut kennt. Vor allem bei überschwänglichen und übertriebenen Äußerungen. „Ein gutes Kompliment ist ein ehrlich gemeintes. Es ist nicht manipulativ, sondern dient der Wertschätzung dessen, was man am Gegenüber wahrnimmt“, sagt Geschke in einem Interview mit der SZ.

Wertgeschätzt zu werden – das merke ich vor allem an den Komplimenten von meinem Freund. Er sagt nicht einfach irgendwas. Er bemerkt Dinge, die nicht sofort offensichtlich sind. Daran merke ich: er ist ein guter Beobachter und aufmerksam. Seine Komplimente fühlen sich nicht so an, als ob sie schon 100 mal gesagt worden wären.

Vor allem in Beziehungen sind Komplimente wichtig. Geschke sagt: „Im Verlauf einer längeren Beziehung kriegen die Komplimente eine andere Qualität. Sie werden persönlicher, weil man den Partner wirklich tief kennt und somit in der Lage ist, Facetten zu erfassen, die andere vielleicht so nicht sehen.“ Man sollte die Wertschätzung seinem Partner gegenüber immer wieder zum Ausdruck bringen. Und das muss nicht unbedingt verbal sein.

Komplimente sind mächtig. Ich frage mich heute oft, ob das Mädchen im Kindergarten mein T-Shirt damals wirklich schön gefunden hat. Oder hat sie schon früh gelernt, wie man sich bei anderen Menschen beliebt macht? Ich werde es wohl nie erfahren. Aber eines weiß ich sicher: Kompliment ist nicht gleich Kompliment.

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Bildquelle: Keira Burton auf Pexels; CC0-Lizenz