LiebesLeben: Offene Beziehungen in der Realität – Welche Rolle spiele ich?
Katja malt mit Sprache Bilder auf ihre Wortleinwand. In ihrer Kolumne nimmt sie euch mit in ihr Atelier: Als absoluter Gefühlsmensch schreibt sie über die Liebe und das Leben – ein bisschen philosophisch und ein bisschen psychologisch, mit einem Hauch von Melancholie.
Wir alle kennen es aus der Schule: Man glaubt, nach dem Gemeinschaftskundeunterricht sei man bestens vorbereitet auf das Leben – bis man zum ersten Mal eine Steuererklärung machen oder eine Rechnung schreiben muss und sich fragt, was all die theoretisch zwar perfekten, dafür aber äußerst praxisfernen Darstellungen von Wirtschaft und Finanzen jetzt eigentlich gebracht haben.
Ganz ähnlich ist es mit offenen Beziehungen. Denn was uns häufig präsentiert wird, wenn wir von offenen Beziehungen lesen oder hören, ist ebenfalls nichts anderes als ein Lehrbuch-Konzept: theoretisch perfekt, aber in der Praxis ist das alles eben doch etwas komplexer.
Wenn man selbst eine offene Beziehung führt, wird einem nach und nach klar, dass es so viele Dinge gibt, die zu dieser Erfahrung gehören, die allerdings selten thematisiert werden. Welche Bedeutung hat das eigene Verhalten? Wie ergründet man seine eigenen Bedürfnisse und wie schafft man es, zu akzeptieren, dass es okay ist, genau diese Bedürfnisse zu haben? Wie lernt man, sich auf sich selbst zu konzentrieren, anstatt eine offene Beziehung als Wettbewerb zu betrachten?
Nachdem es letzte Woche darum ging, welche Rolle anderen Menschen in offenen Beziehungen zukommt, welche Gefühle sie auslösen und wie man es schafft, daran zu wachsen, widmen wir uns heute der Frage, welche Rolle man selbst in offenen Beziehungen eigentlich spielt.
Wie ist es, als Vergebene*r etwas mit jemand anderem zu haben?
Dadurch, dass der Schwerpunkt meistens auf den Erlebnissen der anderen Person liegt, wenn über offene Beziehungen gesprochen wird, rückt die Frage, wie es sich denn eigentlich anfühlt, selbst etwas mit jemand anderem zu haben, oft völlig in den Hintergrund.
Dabei finde ich es sehr wichtig, diese Erfahrung zu sammeln und sie auch entsprechend zu reflektieren. Einen besonderen Moment mit jemandem zu teilen, den man bestenfalls attraktiv und sympathisch findet, hilft definitiv dabei, herauszufinden, ob man zukünftig weiterhin sexuelle Erlebnisse mit anderen Menschen als dem*der Partner*in teilen möchte.
Wie sonst soll man wissen, wie man sich währenddessen und danach fühlt? Ob es einem gut geht, ob man die Erfahrung verzichtbar findet, ob man sich eigentlich nur nach seinem*seiner Partner*in sehnt, ob man sich schuldig fühlt? All diese Dinge findet man nur heraus, indem man sich ausprobiert.
Insbesondere für den Fall, dass es eine positive Erfahrung war, hilft dieses Herumexperimentieren auch dabei, das Verhalten des Partners bzw. der Partnerin besser nachvollziehen zu können. Man lernt, dass sich durch die Nähe zu anderen Menschen rein gar nichts an der Liebe ändert, die man zu seinem*seiner Freund*in empfindet – und man versteht, dass das andersherum auch nicht der Fall ist.
Ich habe im Gegenteil sogar die Erfahrung gemacht, dass es die Liebe intensiviert. Denn die Tatsache, dass man mit seinem*seiner Partner*in darüber sprechen kann und er*sie einem erlaubt, sein Leben ohne Einschränkungen zu genießen, sorgt dafür, dass man sich umso mehr bindet und umso mehr zu schätzen weiß, was für ein Goldstück man da eigentlich an seiner Seite hat.
Ich habe einige Male mit anderen Menschen geschlafen, obwohl ich emotional schon sehr an meinen Freund gebunden war. Aber für mich hatten diese Momente nie etwas damit zu tun, dass mein Freund mir nicht reicht. Es sind zwei Dinge, die nicht miteinander zusammenhängen. In entsprechenden Momenten denke ich nicht unbedingt an meinen Freund, aber das ändert nichts daran, dass er die ganze Zeit über in meinem Herzen ist.