Ein Paar genießt den Sonnenuntergang

LiebesLeben: Offene Beziehungen in der Realität – Welche Rolle spiele ich?

Konkurrenzkampf: Was, wenn ich weniger Dates habe als mein*e Partner*in?

Ein häufiger Irrtum, der kursiert, weil selten das Gegenteil thematisiert wird, besteht darin, dass in offenen Beziehungen immer ein perfektes Gleichgewicht herrscht, was Sex mit anderen Personen betrifft. Aber in den allermeisten offenen Beziehungen ist das nicht der Fall. Häufig datet ein Part mehr als der andere.

Ich kenne zwei offene Beziehungen, in denen quasi ausschließlich einer der Partner*innen anderen Menschen körperlich nahekommt, und das sogar ziemlich exzessiv. Und obwohl die andere Person jeweils praktisch monogam lebt, funktionieren beide Beziehungen ausgezeichnet – jedenfalls soweit ich als Außenstehende das beurteilen kann.

In meiner Beziehung bin ich diejenige, die ihre sexuelle Freiheit weniger auslebt als mein Freund. Wenn es darum geht, wie häufig wir mit anderen Menschen rummachen, sind wir wahrscheinlich ziemlich gleichauf. Aber er liegt weiter vorn als ich, was den Sex betrifft. 

„Er liegt weiter vorn als ich“ – allein die Formulierung suggeriert, dass es sich hier um ein Wettrennen handelt. Um einen Wettbewerb. Und wenn man der weniger aktive Part ist, überfällt einen tatsächlich manchmal der Drang, jetzt auch einfach wild drauf los zu daten, bloß um mithalten zu können. Aber es ist wichtig, sich immer wieder vor Augen zu führen, dass man eine Beziehung nicht als Wettbewerb betrachten sollte.

Wenn ich eine Person in einem Club, auf einem Konzert oder in einer Bar kennenlerne, dann reicht es mir meistens, einfach diese gemeinsamen Momente zu genießen und ein bisschen rumzumachen, ohne anschließend mit dieser Person nach Hause zu gehen. Ich verspüre bei den meisten Menschen einfach nicht den Drang, mit ihnen zu schlafen. Würde ich es tun, dann nur, um mir selbst und meinem Freund zu beweisen, dass ich etwas kann, worauf ich eigentlich gar keinen Wert lege. Natürlich gibt es einige Ausnahmen – aber das ist die Regel.

Was man auch bedenken muss, ist, dass die Rolle desjenigen, der häufiger etwas mit anderen Leuten hat, nicht unbedingt die einfachere ist. Typischerweise ist dieser Part auch derjenige, der mehr für die andere Person da sein muss, mehr erklären muss, mehr „auffangen“ und generell mehr Energie in die Beziehung investieren muss.

Und das ist der Punkt: Bei offenen Beziehungen geht es nicht nur darum, mit anderen Menschen ins Bett zu gehen. Die Freiheit, von der immer gesprochen wird, bezieht sich auf so viel mehr. Man gewährt sich gegenseitig die Freiheit, so sein zu können, wie man ist – mit allen Bedürfnissen, Gefühlen und Gedanken, die man hat und die sich hin und wieder ihren Weg an die Oberfläche bahnen. Es geht darum, tun zu dürfen, was man tun will, und fühlen zu dürfen, was man eben fühlt – und dabei jederzeit die Gewissheit zu haben, dass beinahe nichts, was man tut oder fühlt, die andere Person je vertreiben könnte.

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Bildquelle: Анна Хазова on Pexels; CCO-Lizenz