Was, wenn Sport krankhaft wird?

Trainieren bis zum Umfallen: Warum es mehr Body Positivity für Männer braucht

Dass bei den Bildern zum Teil auch gelogen wird, soll mal nicht unterstellt werden – auch, wenn das immerhin bei letzterem Beispiel angezweifelt werden darf. Jedoch lassen diese Art von Videos wichtige Informationen außen vor. So ist es üblich, den Körper nach dem angegebenen Trainingszeitraum in einem deutlich schmeichelhafteren Licht darzustellen, wodurch Muskeln eher hervorstechen. Darüber hinaus sind insbesondere Transformationsvideos über einen kurzen Zeitraum von Menschen erstellt, die bereits einmal trainiert haben und nun versuchen ihre alte Form wieder herzustellen. Warum ist das so wichtig? Muskeln, die einmal aktiviert waren, wachsen deutlich schneller wieder nach als Muskeln, die noch nie trainiert wurden. Ganz ähnlich wie bei gelernten Inhalten. Lernt man etwas neu, dauert es länger, als wenn man Wissen nur auffrischt. 

Diese Videos, die eigentlich motivierend sein sollen, können so schnell deprimierend wirken. Was, wenn man alles macht, was empfohlen wird, wenn man sich auch streng an Ernährungspläne hält, aber nach drei Monaten immer noch nicht der Waschbrettbauch so hervorsticht, wie man es sich eigentlich gewünscht hätte? Oder wenn die Arme immer noch eher zwei dünnen Ästen gleichen, als an einen durchtrainierten Oberarm erinnern? 

Die Wahrscheinlichkeit, dass der eigentlich wohltuende Sport wieder aufgegeben wird, ist hoch. 

Wenn die Gier nach Muskeln zu groß wird

Aber selbst, wenn erstes Muskelwachstum zu beobachten ist, muss das nicht immer gesund sein. Gerade für Männer mit einem niedrigeren Selbstwertgefühl kann das unglaublich motivierend wirken, wenn sich langsam aber sicher etwas positiv am eigenen Erscheinungsbild ändert. Bonuspunkte, wenn Menschen aus dem eigenen Umfeld die Transformation von sich aus bemerken und anerkennend auf die Schulter klopfen. Gerade diese wohltuende Anerkennung wird zu einem Katalysator wieder ins Fitnessstudio zu gehen. Kanalisiert den Willen wieder ein paar Kilos mehr auf der Benchpress hinzufügen.  Doch in dieser Phase ändert sich etwas bei Männern mit einem niedrigeren Selbstwertgefühl. Sie definieren sich immer mehr über ihren Körper, schließlich ist er es, der sie „besonders“ macht. Aus der gesunden Motivation für den Sport und am eigenen Körper zu arbeiten, kann so schnell eine Krankheit werden. 

Yannik Thelen, Psychologe und verhaltenstherapeutischer Psychotherapeut, berät bei der Caritas München junge Männer, die dadurch in eine Spirale aus exzessivem Sport und Essstörungen geraten – die Diagnose in diesen Fällen häufig Muskeldysmorphie. „Das eigene Körperbild ist so verzerrt, dass ganz egal wie muskulös man ist, man hält sich immer für zu dünn“, erklärt er gegenüber ARTEde. „Man kommt an einen Punkt, wo der Sport zwanghaft wird, der Sport sich nicht mehr gut anfühlt. Da wird es dann problematisch.“ 

Ziel der Therapie bei Thelen sei es eigener Aussage nach Möglichkeiten und Räume zu eröffnen und das Leben wieder mit schönen Dingen zu füllen – und nicht nur mit Trainingsplänen und Ernährungsplänen.

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Bildquelle: Keira Burton auf Pexels; CC0-Lizenz