Selbstfindung

Reisen, um sich selbst zu finden: Was ist dran am Klischee?

Und die Sache ist die: Man kann vielen dieser unzähligen Möglichkeiten irgendwie etwas abgewinnen. Weswegen man wahrscheinlich nur verwirrter sein wird, was den eigenen Lebensentwurf betrifft, wenn man nach Deutschland zurückkehrt. Auch, wenn man vorher nicht genau wusste, was man eigentlich will, hatte man vielleicht zumindest eine grobe Ahnung. Nach einer Langzeitreise, auf die man sich mental wirklich eingelassen hat, weiß man hingegen wahrscheinlich gar nichts mehr. Großartig!

Warum sich Reisen trotzdem lohnt

Auf einer Reise findet man vielleicht nicht unbedingt sich selbst – aber man findet so viele andere Dinge. Man findet Personen, mit denen man von Anfang an auf einer Wellenlänge ist. Man findet Geschichte und man findet Geschichten der Menschen, mit denen man sich umgibt. Man findet tropische Tiere und Pflanzen und Früchte am Wegrand. Man findet Emotionen, wenn man genauer hinsieht. Man wird reich – nicht in finanzieller Hinsicht; diesbezüglich wird man eher arm. Aber sowohl die Schönheit als auch die Probleme, denen man begegnet, werden dafür sorgen, dass man einerseits zu schätzen weiß, wie schön diese Welt doch ist, und sich andererseits glücklich mit dem Lebensstandard schätzt, den man selbst erfahren darf.

Und ich glaube definitiv, dass Reisen einen auch in Bezug auf die eigene Persönlichkeit weiterbringt: Man wird zwangsläufig viel selbstständiger, weil man alles selbst organisieren muss und – vielleicht zum ersten Mal überhaupt – so wirklich auf sich allein gestellt ist. Man ist am anderen Ende der Welt, die Familie und Freund*innen wohnen nicht nebenan und können mal schnell vorbeikommen, falls irgendetwas sein sollte. Dieses neue Ausmaß an Selbstständigkeit führt meiner Erfahrung nach auch zu mehr Selbstbewusstsein. Außerdem wird man definitiv offener. Auch, wenn man vorher schon ein offener Mensch war, wird diese Offenheit auf einer Langzeitreise noch einmal auf ein ganz neues Level gebracht. Man ist mit jeder vorstellbaren Art Mensch konfrontiert, und lernt, miteinander zu leben und mit den verschiedensten Menschen auszukommen.

Reisen sind also vielleicht nicht unbedingt geeignet, um sich vollständig „selbst zu finden“ – aber sie machen glücklich. Und vielleicht ist Glücklichsein viel wichtiger als jede Facette seiner selbst in- und auswendig zu kennen.

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Bildquelle: Catarina Sousa via Pexels, CC0-Lizenz