Heimweh

Heimweh auf Reisen – das Gefühl, das dich zurückwirft

In Momenten des Heimwehs scheint irgendwie alles zusammenzukommen. Schließlich empfindet man Heimweh meistens nur dann, wenn alles gerade nicht so gut läuft. Egal, ob es sich um gravierende Schwierigkeiten oder nur um nervige Kleinigkeiten handelt: Manchmal ist es in der Fremde einfach zu… naja, zu fremd eben.

Ich tippe diese Worte von einem Busbahnhof in Bogotá aus, während ich auf den Nachtbus nach Medellín warte. Das Licht an diesem Busbahnhof ist zu grell, die Kinder, die hier herumrennen, schreien zu laut, die Stadt ist beängstigend riesig. Aus den Duschen kommt nur kaltes Wasser, die Betten sind unbequem und die Haut juckt, weil sie gerade dabei ist, sich vom letzten Sonnenbrand zu schälen. Es sind verdammte 12 Grad, das Gepäck ist schwer und nervig, und die Sitze im Nachtbus werden wahrscheinlich genauso ungemütlich sein wie die Betten im Hostel.

Die Leute quatschen mich die ganze Zeit auf einer Sprache zu, die ich – in dem Tempo, das hier beim Sprechen an den Tag gelegt wird – nur zur Hälfte verstehe. Und überhaupt: Warum meinen überhaupt alle, so viel zu sagen zu haben, dass sie einen die ganze Zeit anquatschen? Es ist einfach nicht möglich, einer Konversation zu entgehen. Heute habe ich, lange nachdem die Fahrt vorbei war, keine Gelegenheit gefunden, um aus dem Auto meines Uber-Fahrers auszusteigen, weil der ein Gespräch über Religionen angefangen hat und unbedingt wissen wollte, wie es denn sein kann, dass ich nicht an Gott glaube. Da wünsche ich mir doch glatt die deutsche Mentalität zurück, in der es ja eher die Norm ist, bloß niemanden in ein Gespräch zu verwickeln.

Und warum gehen überhaupt alle davon aus, dass man als Tourist gut Spanisch sprechen kann? Wenn ich in Deutschland Touristen aus anderen Ländern antreffe, gehe ich doch auch nicht davon aus, dass die Deutsch können.

Das ist natürlich alles Meckern auf hohem Niveau, und das ist – glaube ich – auch jedem bewusst, der auf einer Reise von Heimweh geplagt wird. Dieses Bewusstsein ändert aber für den Moment nichts an dem blöden Gefühl, das einem einfach keine andere Wahl lässt, als herumzunörgeln.

Ich will doch nur endlich mal wieder von meinem Liebsten in den Arm genommen werden oder mit einer meiner besten Freundinnen über alles quatschen, was mich gerade beschäftigt, und dabei tatsächlich ihr Gesicht live vor mir sehen. Oder abends zu Hause auf dem Balkon sitzen und meiner Mama und meinem Stiefvater erzählen, was ich in letzter Zeit so gemacht habe.

Das Miese am Heimweh ist auch, dass die Gedanken aufhören, sich in erster Linie um das zu drehen, was man gerade erlebt, sondern anfangen, sich wieder hauptsächlich um das zu drehen, was wohl zu Hause gerade so passiert. Was macht er gerade? Wie lief eigentlich ihr Date? Was ist bei ihrem Gespräch mit XY herausgekommen?

Das ist hinderlich, denn es wirft einen emotional zurück, was die Reise und das Gefühl des Unterwegsseins betrifft. Wenn man im Kopf die ganze Zeit zu Hause hängt, dann ist man zwar körperlich immer noch auf der Reise, aber mental einfach nicht richtig da. Und das ist schade, denn so oft erlebt man so etwas schließlich nicht.

Daran schließt sich der Gedanke an, kein Teil dieser Welt mehr zu sein, wenn man irgendwann tatsächlich zurückkehrt. Die Angst, dass man selbst oder die anderen sich so verändert haben, dass nichts mehr sein wird, wie es war. Und dass kein Platz mehr für einen ist, wenn man wieder da ist.

Es ist ein bisschen wie FOMO, bloß andersherum gerichtet als üblich. Normalerweise sitzt man zu Hause und hat Angst, etwas zu verpassen, was in der Welt da draußen passiert. Wenn man Heimweh empfindet, sitzt man im Gegenteil irgendwo in der großen weiten Welt und hat Angst, etwas von dem zu verpassen, was gerade zu Hause passiert.

Weil ich gestern so Heimweh hatte, habe ich wieder angefangen, die ersten Folgen von O.C. California zu schauen – in der Hoffnung, dass das hilft. Das war allerdings nicht besonders förderlich. Denn Orange County ist zwar nicht mein Zuhause und die Charaktere sind nicht meine Familie und Freund*innen, aber die Serie gibt mir ein heimisches Gefühl, das macht, dass ich mich in meine Decke einkuscheln und gemütlich dazu einschlafen will. Und, Überraschung: Das ist nicht das Gefühl, das man während einer Reise idealerweise haben sollte. Denn, was habe ich gemacht? Richtig, mich in eine Decke eingekuschelt und geschlafen, während ich in Kolumbien bin. Unfassbar.

Ich wünsche mir, dass mein Gefühl bezüglich meiner Reise wieder so wird, wie es vor diesem Anflug von Heimweh war. Und ich bin zuversichtlich, dass das passieren wird – schließlich bin ich in einem großartigen Land. Ich glaube, wenn man dieses miese Gefühl von Heimweh empfindet, hilft es vielleicht, alles Schlechte einmal rauszulassen. Detox – einmal auskotzen und fertig. Hoffentlich.

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Bildquelle: Pexels, CC0-Lizenz