Schüchternheit

Schüchternheit ablegen: Ist das möglich?

Das ist ein Artikel für alle, die in der Schule keine Gedichte vortragen konnten. Für alle, die sich nie getraut haben, ihren Crush anzusprechen – und für alle, die auch heute noch Probleme damit haben, eine*n Verkäufer*in danach zu fragen, wo sich ein bestimmtes Produkt befindet. Denn, ja: Es ist möglich, Schüchternheit abzulegen.

Wenn ich Leuten erzähle, dass ich als Kind richtig schüchtern war, wird mir das heute nicht mehr geglaubt. Es ist mir schon öfter passiert, dass Menschen zu mir gesagt haben, ich könne da nicht mitreden und mir kein Urteil darüber erlauben, ob es möglich ist, seine Schüchternheit zu überwinden oder nicht, denn sie können sich überhaupt nicht vorstellen, dass ich je wirklich schüchtern gewesen bin. Das fühlt sich für mich manchmal ein bisschen despektierlich an. Denn ganz ehrlich: Diese Menschen haben keine Ahnung, wie ich war.

Und, glaubt mir: Ich weiß, was Schüchternheit bedeutet. Wirklich. Ich weiß, wie es ist, vor einer Gruppe von Menschen zu stehen, einen Vortrag halten zu müssen und dabei weiche Knie und eine zitternde Stimme zu haben. Ich weiß, wie es ist, vor der Person, die man mag, plötzlich kein Wort mehr herauszubekommen. Ich weiß, wie es ist, nicht auf eine Gruppe zugehen zu können – aus Angst, dass es komisch rüberkommt, wenn ich mich einfach zu ihnen setze.

Ich war wirklich schüchtern. Und es ist erst besser geworden, als ich älter geworden bin und mehr Erfahrungen mit verschiedenen Menschen und Situationen gesammelt habe.

Vergeht Schüchternheit mit dem Alter?

Aber ist Schüchternheit denn generell eine Frage des Alters? Ich weiß nicht.

Einerseits sind viele der Menschen, die früher mit mir gemeinsam schüchtern waren, mittlerweile weniger schüchtern. Darum glaube ich schon, dass Schüchternheit tendenziell verfliegt, wenn man älter wird.

Bei anderen Personen, die ich von früher kenne, habe ich allerdings den Eindruck, dass sie mittlerweile sogar noch schüchterner sind als früher.

Wahrscheinlich kommt es darauf an, welche Erfahrungen man sammelt und inwiefern man sich dazu zwingt, ins kalte Wasser zu springen. Denn ich glaube, Schüchternheit kann tatsächlich immer schlimmer werden, wenn man nichts dagegen unternimmt und sich stattdessen in seinem Kämmerchen verkriecht.  

Warte – was ist überhaupt schlimm daran, schüchtern zu sein?

Zuerst einmal nichts. Und natürlich ist es jedem selbst überlassen, ob man schüchtern bleiben möchte oder nicht. Aber aus der Perspektive einer Person, die sowohl weiß, wie es sich anfühlt, schüchtern zu sein, als auch weiß, wie es sich anfühlt, nicht mehr schüchtern zu sein, kann ich sagen: Nicht schüchtern zu sein, ist ein deutlich angenehmeres Gefühl.

Es ist einfach schön, sich keine großen Gedanken darüber zu machen, ob man sich traut, jemanden anzusprechen, oder ob man sich traut, etwas zu machen, das vielleicht ein bisschen auffällig ist und einen für einen Moment ins Zentrum der Aufmerksamkeit katapultiert.

Wenn ich davon rede, Schüchternheit abzulegen, ist das etwas völlig anderes, als seine Persönlichkeit zu verändern. Denn ich glaube, Schüchternheit ist kein konstantes Persönlichkeitsmerkmal. Sie wird nur durch bestimmte Charakterzüge und Erfahrungen begünstigt.