Schüchternheit

Schüchternheit ablegen: Ist das möglich?

Inwiefern kann man etwas an seiner Schüchternheit ändern?

Ich glaube schon, dass es Grenzen gibt, über die man nicht hinauskommt, was das Ablegen der eigenen Schüchternheit angeht. Meines Erachtens bestehen diese Grenzen aber nur in der grundsätzlichen Tendenz, in der grundsätzlichen Ausrichtung der Persönlichkeit.

Jemand, der einmal die schüchternste Person der Klasse war, wird wahrscheinlich nie zu jemandem werden, der überhaupt kein Problem mehr damit hat, (nüchtern) im Club auf dem Tisch zu tanzen oder dem es absolut leicht von der Hand geht, die Frau oder den Mann der Träume anzusprechen.

Und daran ist absolut gar nichts falsch. Es gibt einfach Menschen, die extravertierter sind als andere. Es gibt Menschen, die verklemmter sind als andere. Es gibt Menschen, denen solche Dinge einfach von Natur aus schwerer fallen, weil ihr Charakter es überhaupt nicht anders zulässt. Es ist eine Veranlagung.

Von daher glaube ich, dass man Schüchternheit und Eigenschaften, die oft mit Schüchternheit einhergehen, nur bis zu einem bestimmten Punkt ablegen kann.

Und was kann man nun tun?

Long story short: Wie ich es schon mehrmals angedeutet habe, glaube ich, dass ein Allheilmittel darin besteht, sich immer wieder absichtlich in Situationen zu begeben, die einem schwerfallen. Konfrontationstherapie, sozusagen. Man muss dem Feind ins Auge blicken, auch, wenn man dabei Angst empfindet. Man muss sich der Angst oder dem unbehaglichen Gefühl aussetzen.

Wenn man sich immer nur in seiner Komfortzone aufhält und sich nur innerhalb der Situationen und in den Kreisen bewegt, die man schon in- und auswendig kennt, wie soll man dann je mehr Selbstvertrauen in unbekannten Situationen und mit neuen Menschen gewinnen? Richtig: Es ist nicht möglich.

Ich habe es erst geschafft, meine Schüchternheit nach und nach abzulegen, als ich angefangen habe, mich den Situationen auszusetzen, die mir gruselig vorkamen – anstatt vor ihnen wegzulaufen. Und es wird leichter – wirklich.

Mittlerweile bereue ich alle Dinge, die ich früher, als ich noch schüchtern war, gern gemacht hätte und nicht getan habe, weil ich ihnen lieber aus dem Weg gegangen bin, anstatt mitten in sie hineinzurennen.

Es gibt auch heute noch Momente, in denen es mir schwerfällt, mich zu bestimmten sozialen Interaktionen zu überwinden – aber was mich in solchen Augenblicken antreibt, ist die Frage, was ich denn zu verlieren habe und was schon passieren kann. Und die Gewissheit, dass ich irgendwann an einen Punkt kommen werde, an dem ich die Dinge bereue, die ich nur aus Angst und Schüchternheit nicht getan habe.

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Bildquelle: Foto von Anna Shvets; CC0-Lizenz