Seitenwechsel: Circulus vitiosus im Sport
In seiner Kolumne Seitenwechsel betrachtet unser Autor Paul aus einer politischen und kulturellen Perspektive die aktuelle Welt des Sports. Er blickt dabei weit über die Faszination des reinen Wettkampfes hinaus: Vom kommerzialisierten Profisport, über ehrenamtliche Vereinsarbeit, bis hin zum Fußballstammtisch in der Kneipe zieht er Rückschlüsse auf gesamtgesellschaftliche Phänomene, geprägt von seinen eigenen Erfahrungen.
Gerade merken wir es wieder ganz deutlich am eigenen Leib: Rohstoffe und Dienstleistungen sind knapp und die hohe Nachfrage sorgt für gestiegene Preise. Durch die erhöhten Lebenserhaltungskosten wiederum, werden die Löhne erhöht, mit der Folge gestiegener Produktionskosten. Die Folge ist eine Lohn-Preis-Spirale, ein Teufelskreis der Inflation.
Auch im Sport kann eine Mannschaft mitunter in eine Abwärtsspirale gelangen. Die Parameter sind hierbei nicht Preise und Löhne, sondern Leistung und Selbstvertrauen. Denn gerade dieses Zusammenspiel ist oftmals entscheidend für Sieg oder Niederlage. Ähnlich der Lohn-Preis-Spirale können die Auslöser eines solchen Teufelskreises ganz unterschiedlich sein, die Entstehung somit sehr unvorhersehbar sein. Doch einmal in einen solchen Negativstrudel geraten, ist es schwer den Kreislauf wieder zu durchbrechen. Ist ein Saisonstart erstmal in den Sand gesetzt worden, sei es durch Pech, durch Ungerechtigkeiten oder durch Unvermögen, dann schwindet auch das Selbstbewusstsein der Spieler. Nicht zu unterschätzen ist die Auswirkung dessen auf die Leistungsfähigkeit. Nicht umsonst wird immer wieder darauf hingewiesen, dass der „Kopf“ eine entscheidende Rolle beim Sport spielt, wenn auch oft unbewusst. Doch die fehlenden Prozentpunkte, das mangelnde Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit und der schwindende Glaube an das eigene Team lassen auch die Leistung der Spieler schlechter werden. Die Wahrscheinlichkeit zu gewinnen sinkt, die nächste Niederlage folgt und mit ihr schwindet das Selbstbewusstsein weiter. Und schon ist man mittendrin in einer Leistung-Selbstvertrauen-Spirale, im Teufelskreis des Sports.
Da dieses Szenario schwer zu erklären ist, verfallen Spieler und Trainer in einer solchen Situation oftmals in Durchhalteparolen. Man solle den Kopf nicht hängen lassen, weiter an sich glauben, sich Selbstvertrauen erspielen und das Glück erzwingen. Mit anderen Worten: Es gibt kein Erfolgsrezept, keinen klaren Ausweg aus dem Kreislauf. Selbst bei unbändigem Willen zu gewinnen, bei noch mehr Kampfgeist und immer wiederkehrendem Verweis auf das eigentliche Leistungsvermögen, in entscheidenden Situation macht sich der Negativlauf bemerkbar. Dann wird ein 50:50 Zweikampf verloren, dann werden klare Torchancen nicht genutzt und dem Gegner gelingen Kunstschüsse. So ist das, wenn man unten drin steht, heißt es dann in der Analyse. Erst hatten wir kein Glück und dann kam auch noch Pech dazu.
Sich nur auf transzendentes Umschwenken zu verlassen, ist dabei aber auch zu kurz gegriffen. Das Selbstvertrauen künstlich beeinflussen, ist ebenfalls schwer. Einziger Ansatzpunkt bleibt somit die Leistung. Die Leistung, die zwar durch eine Abwärtsspirale und mangelndes Selbstvertrauen beeinflusst, aber nicht in Gänze bestimmt wird. Vielmehr sind viele Sportarten so komplex, dass allein im physischen und taktischen Bereich stetig Verbesserungspotential besteht. Daran gilt es zu arbeiten, auch wenn die Arbeit in einer solchen Situation oft sinnlos erscheint. Die Erkenntnis des Leistung-Selbstvertrauen-Zusammenhangs ist schnell getroffen, ein Ausweg aus dem Teufelskreis damit aber noch lange nicht gefunden.
Im Profisport ist die Toleranz für eine Negativserie oftmals sehr gering. Und den verantwortlichen Akteuren wird nur kurz die Möglichkeit gegeben, an der Leistung zu arbeiten und sich selbst aus dem Kreislauf zu befreien. Dem sportlichen und finanziellen Druck geschuldet wird oft auch versucht in den psychischen Bereich des Teufelskreises einzugreifen. Dann wird mit aller Macht versucht den Gemütszustand der Spieler anzusprechen, Selbstvertrauen aufzubauen und einen Neustart zu erzwingen – oft mit einem neuen Trainer. Ist diese Personalie kurzerhand ausgetauscht worden, wendet sich aus teilweise unerfindlichen Gründen das Blatt. Eine Mannschaft spielt wie neugeboren und
voller Selbstvertrauen. Der Kreislauf ist durchbrochen.
Andererseits gibt es auch viele Beispiele, in denen sich Geduld ausgezeichnet hat. In denen den Verantwortlichen Vertrauen geschenkt wurde. Und in denen das Glückpendel irgendwann wieder auf die andere Seite schwingt. Genau wie das Vertrauen der Notenbanken in stabile Preise, kann auch das Vertrauen eines Sportdirektoren gegenüber dem Trainer den Teufelskreis durchbrechen, im Sport und in der Wirtschaft. Das Risiko abzusteigen aber bleibt bestehen.
Mehr von Seitenwechsel:
- Seitenwechsel: Euro-Basket: Bubble-Hype statt Sommermärchen
- Seitenwechsel: Kurzurlaub Stadion
- Seitenwechsel: #EqualGame im Urlaub
Folge ZEITjUNG auf Facebook, Twitter und Instagram!
Bildquelle: cottonbro auf pexels