Seitenwechsel: #EqualGame im Urlaub

In seiner Kolumne Seitenwechsel betrachtet unser Autor Paul aus einer politischen und kulturellen Perspektive die aktuelle Welt des Sports. Er blickt dabei weit über die Faszination des reinen Wettkampfes hinaus: Vom kommerzialisierten Profisport, über ehrenamtliche Vereinsarbeit, bis hin zum Fußballstammtisch in der Kneipe zieht er Rückschlüsse auf gesamtgesellschaftliche Phänomene, geprägt von seinen eigenen Erfahrungen.

Das letzte Tor entscheidet: Messi auf Neymar, der geht ins Dribbling gegen drei Gegenspieler. Dann schnappt sich Ronaldo den Ball und drischt aufs Tor. Der Schuss wird vom hechtenden Neuer gehalten, doch der Nachschuss von Mbappé zappelt im Netz. Natürlich sind es nicht die echten Stars, sondern spielende Kinder, die ihren Idolen nacheifern.

Die kleinen Kicker sind zwischen 8 und 12 Jahren alt, manche von ihnen sind Deutsche, manche Griechen und andere Italiener. Doch eine fehlende Sprache ist genauso egal, wie der platte Ball und die ungleich großen Tore. Lautstark und voller Einsatz rennen und kämpfen alle um den Ball und haben gemeinsam Spaß.

Ich beobachte das wilde Treiben aus einer kleinen Bar, während ich ein kühles Mythos trinke – griechisches Bier. Nach vielen Jahren verbringe ich mal wieder meinen Osterurlaub am selben Ort wie vor 15 Jahren. Beim Anblick der kickenden Jungs erinnere ich mich an meine Erfahrungen als fußballverrückter kleiner Junge im Urlaub.

Damals brauchte ich nicht viel, um glücklich zu sein. Mit kurzer Hose, Sportschuhen und einem Ball unterm Arm stand einem guten Tag nichts im Weg. Allein stapfte ich also los, egal ob morgens zum Bolzplatz, mittags zum Strand oder abends zum Dorfplatz. Aber allein blieb ich selten. Schon das von weitem zu hörende Prellen eines Balles, die Geräusche eines satten Schusses oder der Torjubel, von den Orten des gemeinsamen Spiels wurde ich auch akustisch angezogen. Je deutlicher die Geräuschkulisse zu vernehmen war, desto schneller wurden meine Schritte.

Während die Messis, Neymars und Ronaldos also den kleinen Platz lautstark zu ihrem Fußballstadion machen, entdecke ich einen kleinen Jungen, der – genauso wie ich damals – alleine und nur mit Ball bewaffnet dazu kommt. Ihm geht es genauso wie mir. Er hat seinen Ball dabei und will einfach nur kicken. Einziges Problem: Er kennt keinen. Noch. Denn das hat sich schnell erübrigt, als Ronaldo den Ball knapp am Tor vorbeischießt und der bereitstehende Auswechselspieler dem Ball hinterherläuft und aus dem Oleanderstrauch zieht. Damit gehört er dazu.

„Play together?“

Wildes Hin und Herzeigen und wenige Worte später geht es weiter. Neben den bisherigen Spielern gesellt sich jetzt auch noch der deutsche Nationalspieler Kai Havertz hinzu. Zu seiner Mannschaft gehören ein kleiner griechischer Junge, zwei deutsche Brüder und ein Italiener. Aber die Kommunikation ist kein Problem. „Goal“ oder „Foul“ versteht jeder – egal in welchem Land oder in welchem Alter. Und mehr braucht es nicht.

Aus dem bloßen Schwelgen in Erinnerungen wird Wehmütigkeit. Man müsste nochmal so jung sein, so unbeschwert und einfach sein Glück finden. Während ich für einen guten (Fußball-)Tag eine Internetverbindung brauche, das richtige TV-Abo und vernünftige Videoschiedsrichter-Entscheidungen, habe ich früher einfach gekickt. Egal mit wem. Ich war nicht nur offen für fremde Kinder, mir war es ehrlich gesagt völlig egal wem ich den Ball gepasst habe. Das einzig entscheidende war die gemeinsame Leidenschaft fürs Fußballspielen. Und das geht eben nur zusammen. Diese Erkenntnis muss Kindern nicht vermittelt werden, die Einstellung ist natürlich. Im Profifußball scheint sie aber alles andere als selbstverständlich zu sein.

Rund um die Spiele im Profifußball wird mit einer ganzen Reihe an Werten und Normen an die Zuschauer appelliert. Am Stadion hängen Banner „Für Toleranz“, die Bandenwerbung setzt sich „against Racism“ ein und in der Halbzeitpause läuft ein Spot für Respekt im Sport. Unmengen an Geld werden für aufwendige Kampagnen aufgebracht, zum Beispiel die des europäischen Fußballverbandes: #EqualGame. „#EqualGame ist Ausdruck der festen Überzeugung der UEFA, dass jeder in der Lage sein sollte, den Fußball zu genießen, unabhängig davon, wer er ist, woher er stammt und wie er dieses Spiel spielt.“, schreibt die UEFA in ihrer Erklärung. Warum ist all das nötig, wenn doch die kleinsten Kicker all das verinnerlicht haben? Schade eigentlich.

Ein lauter Torschrei der spielenden Kids unterbricht meine Gedanken. Einer der Jungs hat sich bei der Aktion weh getan, doch nachdem ihm zwei andere aufhelfen geht es direkt weiter. Hauptsache kicken. Ich trinke mein Bier leer und muss mich beeilen zu bezahlen. In 10 min beginnt nämlich die Übertragung der Bundesliga über den Internetanbieter Sky Go. Während ich die spielenden Kinder noch von weitem höre, versammeln sich die Profis an meinem Laptop zur Schweigeminute anlässlich des Ukraine-Krieges. Die kickenden Jungs genießen einen unbeschwerten Urlaubstag – so wie bei mir früher – und ich hoffe, dass meine Internetverbindung hält. Vielleicht wird es für mich dann ja auch noch ein guter Tag…

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Bildquelle: darvinsantos auf pixabay