Seitenwechsel: Kurzurlaub Stadionbesuch
In seiner Kolumne Seitenwechsel betrachtet unser Autor Paul aus einer politischen und kulturellen Perspektive die aktuelle Welt des Sports. Er blickt dabei weit über die Faszination des reinen Wettkampfes hinaus: Vom kommerzialisierten Profisport, über ehrenamtliche Vereinsarbeit, bis hin zum Fußballstammtisch in der Kneipe zieht er Rückschlüsse auf gesamtgesellschaftliche Phänomene, geprägt von seinen eigenen Erfahrungen.
Samstag 6:30 Uhr, mein Wecker klingelt. Doch im Gegensatz zum Arbeitsalltag quäle ich mich nicht aus dem Bett, sondern stehe voller Vorfreude auf. Um 8 Uhr muss ich am Bahnhof sein. Es geht nicht in den Sommerurlaub, es geht ins Stadion – erster Bundesligaspieltag.
Zu einem erfolgreichen Stadionbesuch gehören zuallererst eine gute Begleitung und die richtige Verpflegung. Und so schaffte ich es mit meinen Jungs nach einigen Komplikationen schließlich inklusive gültigen Tickets, einem Kasten Bier und ein paar Laugenbrenzeln pünktlich in den richtigen Zug. Die Hinfahrt ist bei einer solchen Tour mit das schönste. Die unzähligen Zwischenstopps und Zugverspätungen geraten bei regelmäßigem Anstoßen, Spieltagprognosen und lustigen Geschichten in den Hintergrund. Nach mehr als drei Stunden kamen wir schließlich am Zielbahnhof an.
Wir lassen uns treiben. Das Stadtbild ist geprägt von Fußballfans. Alle in einheitlichen T-Shirts, viele mit einem Bier in der Hand, alle mit guter Laune. Und alle haben dasselbe Ziel: Das erste Spiel ihres Lieblingsvereins. Wir schließen uns dem Strom an und sind schnell Teil eines großen Ganzen. Menschenmassen soweit das Auge reicht, Fahnen am Ende der Straße und laute Gesänge – kilometerlang bis wir am Stadion ankommen. Auch hier nimmt der Tag berauscht von Alkohol und angeheiterter Stimmung seinen gewohnten Gang. Vorbei an Biergarten, Fanshop, den Ticketkontrollen und Ordnern bis ins Stadion. Die letzten Treppenstufen bis zum Blick ins Stadioninnere sorgen nicht zum letzten Mal für Gänsehaut.
Auch die Zeit bis zum Anpfiff vergeht wie im Flug und ohne Zeit nachzudenken. Das warm machen der Spieler, die Mannschaftsaufstellung oder das Treiben der Fans – die Eindrücke überschlagen sich schon bevor das Spiel überhaupt begonnen hat. Wenn dann in der zweiten Halbzeit noch das entscheidende Siegtor geschossen und Spieler und Fans im Anschluss gemeinsam feiern, ist der Höhepunkt des Tages erreicht. Totale Ekstase und völlige Glückseligkeit.
Erst als ich nach dem Spiel die Treppenstufen langsam wieder hinunter gehe, komme ich zur Ruhe. Ich bin zwar nicht mal 200km entfernt von zu Hause, aber fühle mich dennoch wie in einer anderen Welt. Nirgendwo anders kann ich so gut und schnell abschalten, von alltäglichem Stress und Problemen. Mit betreten des Zuges geht es nur noch um Fußball, das nächste Getränk oder den Gang zur Toilette. Das mag primitiv klingen, ist aber perfekt für eine Auszeit und wohltuend für Geist und Gemüt.
Wie bei einem klassischen Urlaub auch, kommt man um die Heimreise allerdings nicht herum. Und auch beim Kurzurlaub Stadion gehört die zu den weniger angenehmen Aspekten. Als ich nach mehreren Umstiegen, Rennereien und Wartezeiten endlich um kurz vor Mitternacht daheim ankomme, bin ich geschafft. Hier bin ich zwar erst heute Morgen los, doch es fühlt sich an als käme ich von einer langen Reise nach Hause. So viele Eindrücke, so viel Ablenkung und so viel pure Freude muss ein echter Urlaub erstmal leisten. Der Stadionbesuch hat es wieder einmal geschafft – bestimmt nicht zum letzten Mal!
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Bildquelle: Tembela Bohle auf pexels