Mother Chappell: Künstlerin nennt Kinderhölle beim Namen und entfacht wütende Debatte

Chappell Roan polarisiert: mit der Art, wie sie ihre Dankesreden abhält, zuletzt bei den Grammys, mit ihren Posts und Statements und natürlich mit ihren Looks. Dafür wird sie nicht nur von der queeren Community frenetisch gefeiert. Doch gerade hat sie ausgerechnet mit ihren Gedanken zu den Kindern von Freund*innen in ein Wespennest gestochen. Warum aber hat sie da wirklich ohne schlechte Intentionen den Finger in die Wunde gelegt?

Sie ist es womöglich, die legitime Nachfolgerin von Madonna. Natürlich, die Zeit muss es zeigen. Die erste Single „The Giver“ nach ihrem Übermegahitalbum „The Rise and Fall of A Midwestern Princess“ geht jedenfalls in eine völlige andere Richtung: Country. Und zwar nach dem Countrytrend des vergangenen Jahres.

Doch es geht nicht nur um Madonna’sche Genrewechsel. Chappell fällt genau wie Madonna mit Sexpositivität auf – und mit kontroversen Aussagen. Sie nahm kein Blatt vor den Mund, als es um den US-Wahlkampf ging und sie Kamala Harris kritisierte. Valide Punkte übrigens, wenn Kamala nicht unsere einzige Chance für Weltfrieden bedeutet hätte.

Für Furore sorgt sie regelmäßig, zuletzt, als sie aus Mental-Health-Gründen ihre Konzerte absagte. Fans fanden das nur alles andere als toll, ging es doch um nur wenige Europatermine, für die alle Reisen bereits gebucht und so kurzfristig nicht mehr stornierbar waren. Chappell ist aber nun mal eine der wenigen Künstler*innen, die ihre mentale Gesundheit vor ihre Karriere stellt. Chappell hat ihren eigenen Kopf. Und sie hat Ideale; ihr liegt Künstler*innenförderung am Herzen, wenn diese nämlich von ihrem großen Label fallengelassen werden, wie sie selbst einst.

„Ich kenne tatsächlich niemanden, der glücklich ist und Kinder hat“

Es war scheinbar wieder sehr kontrovers, als sie sich in ihrem letzten Interview so nahbar wie zuletzt selten zeigte. Immerhin ist Chappell Roan eine Kunstfigur, eine Dragqueen. Und da saß sie bei „Call Her Daddy“ und erzählt von ihrer neuen Liebe. Und eben, wie sie ihren Umkreis wahrnimmt. Die 27-Jährige sagte, ihre Freund*innen mit Kindern seien in der Hölle. „Ich kenne tatsächlich niemanden, der glücklich ist und Kinder hat.“

Chappell Roan im Interview bei „Call Her Daddy“. © YouTube

Dabei geht es eigentlich gar nicht um irgendetwas anderes als eine Beobachtung, die Chappell gemacht hat. Und sicher auch keine, die 24/7 angehalten hat. Während sie im Netz dafür attackiert wird, stellt sich halt doch die Frage, warum ihre Freund*innen denn die Hölle auf Erden erleben würden mit ihrer Mutter- und Vaterschaft.

Liegt es vor allem an der fehlenden Unterstützung für Mütter, nicht nur in den USA? Sicher, an dieser Stelle fällt es schwer, Forderungen dahingehend zu stellen, wenn in den USA ohnehin alles gerade den Bach runtergeht. Aber letztlich geht es eben um genau das.

Es geht um fehlende Kitaplätze. Es geht um Elternzeit. Es geht darum, dass Frauen versuchen, gute Mütter zu sein in einer Gesellschaft, die sich immer stärker als frauenhassend positioniert. Seth Rogen gab einmal bekannt, er wolle keine Kinder, weil das nicht nach viel Spaß aussähe. Bekam er einen Shitstorm? Sicherlich nicht, er wurde für seine Ehrlichkeit gefeiert.

Kinder haben oder nicht haben – beides ist legitim!

Es ist okay, keine Kinder zu wollen, weil man weiterhin reisen will oder andere Hobbys pflegen möchte. Oder es eben einfach wirklich, wirklich nicht will. Hass aus den eigenen Frauenreihen hilft niemanden. Ist es Neid? Ist es das Wissen, dass der Wunsch nach Kindern vielleicht gar nicht so intrinsisch war? Weil der Wunsch nach Fortpflanzung indoktriniert wurde, sobald einem jungen Mädchen eine Babypuppe in die Hand gedrückt wurde?

Das alles hat Chappell gar nicht erst gesagt. Sie erkennt die Liebe an, die Eltern für ihre Kinder empfinden, aber auch den unfassbaren Struggle, den es bedeutet, von einer Gesellschaft ermutigt zu werden, mit Nachwuchs das Bestehen des Landes zu sichern – und dann mit kaum existenter Hilfe fallen gelassen zu werden, sobald der erste Babyschrei erklingt. Und darum sollte man sich aus eigenen Stücken für seinen eigenen Wunsch entscheiden – für was denn sonst?

Und: man kann gerne Mutter sein und es trotzdem hassen. So oder so, Chappell ist die falsche Adresse für so viele Anfeindungen. Hoffen wir also, dass Chappell wirklich die nächste Madonna ist. Denn dann bleibt sie uns noch ganz lange erhalten, denn sie ist für viele Debatten gut.

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Bild: © Jason Martin via Wikimedia Commons unter CC BY-SA 2.0-Lizenz