Esther Graf: „Mit dir schlafen“ und Liebe in der Musik

ZEITjUNG: Das Thema ist auch sehr aktuell – nach den Vergewaltigungsvorwürfen gegen Samra hat sich #deutschrapmetoo gebildet und es wurden bereits Vorwürfe gegen weitere Rapper erhoben. Die ersten Musiker und Labels haben auch ihre Konsequenzen daraus gezogen und Lieder heruntergenommen, andere Songs mussten umgeschrieben werden. Wie findest du die Reaktionen?

Esther Graf: Ich finde es super, dass das Thema gerade so groß ist, weil es lange überfällig war, darüber zu diskutieren. Daher finde ich es gut, dass es mit der Zeit zu einem allgemeinen Diskurs geworden ist. Ich finde es sehr wichtig, dass er zur Rechenschaft gezogen wird, aber es gibt sicher noch so viel mehr Rapper da draußen, die genau dieselben Dinge abgezogen haben.

In unserer Gesellschaft herrscht beim Thema Vergewaltigung noch eine ganz bestimmte Vorstellung: Vergewaltigung ist nicht nur, dass man mitten in der Nacht irgendwo in einen Busch reingezogen und festgehalten wird, es gibt mehrere Abstufungen; Sachen, die nicht okay sind. Und beim ganzen Hin und Her, ob nun stimmt, was er sagt oder das was sie sagt, finde ich es immer wichtig, dass die Realität des Opfers ernst genommen wird. Ich finde es gut, dass die Labels auch Stellung dazu genommen haben; ob die das aus moralischen Gründen gemacht haben oder nur, um ihren Ruf zu retten, das weiß man jetzt natürlich nicht. Da denk ich mir dann auch „Ja super, dass Nimo seinen Song heruntergenommen hat, aber was hat sich das Label davor gedacht?“ Ich als Musikerin weiß ja, durch wie viele Hände so ein Song gehen muss, bevor der veröffentlicht werden darf.

ZEITjUNG: Was auch oft angebracht wird, ist die „Kunstfigur“: Dass es ja nicht die Person selbst sei, die das sagen würde. Inwiefern sind Musiker*innen ihrer Kunstfigur Rechenschaft schuldig, wie viel kann man von einer Kunstfigur auf die Person dahinter ableiten?

Esther Graf: Die Kunstfigur ist ein Kanal der eigenen Gedanken, um Sachen, die einen selbst beschäftigen, in eine künstlerische Form zu packen. Auch wenn ich zum Beispiel mit wem oder was auch immer zusammenarbeite, muss ich dahinterstehen können, auch wenn ich es nicht selbst „bin“. Man muss sich auf jeden Fall bewusst sein, was man in die Welt hinausträgt. Am Ende des Tages trägt man als Künstler*in nämlich immer die Verantwortung dafür, welche Message man hinausträgt. Ob das jetzt eine Kunstfigur ist oder nicht, die Nachricht geht ja raus.

ZEITjUNG: Dann will ich zuletzt eine Sache in eigenem Interesse anbringen: Wir warten ja immer noch auf ein ganzes Album von dir. Darf man da demnächst etwas in die Richtung erwarten?

Esther Graf: Das Ding ist, dass bei mir alles etwas gedauert hat, weil sich meine Karriere sehr organisch entwickelt hat – worüber ich sehr glücklich bin. Es ist jetzt nicht so, dass da jetzt der fette Deal da war oder ich ein riesiges Feature geklärt bekommen habe. Ich hab das Ganze mal auf mich zukommen lassen, hab Song für Song herausgebracht, wenn es sich halt ergeben hat. So bin ich meinen Weg gegangen, der jetzt zu Sony geführt hat. Wir arbeiten jetzt auch grad an ’ner EP und es wird wahrscheinlich auch ’ne zweite kommen, erst mal also kein Album. Die ganzen Streaming-Plattformen sind leider auch nicht danach aufgebaut, ganze Alben zu hören. Und bei der Arbeit, die dahinter steckt, lohnt sich das erst ab einer größeren Reichweite.

ZEITjUNG: Dann freue ich mich schon mal auf deine EP und vielen Dank für das Interview!

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Bildquelle: Andrej Sergejvic Galiakberov