Hassobjekt: Freundschaften, die sich auseinander entwickeln

Jeder kennt sie, jeder hasst sie und doch brauchen wir sie wie die Luft zum Atmen: Nervige Klientele und unnütze Gegenstände des Alltags, über die man sich so richtig schön echauffieren kann – da geht es den ZEITjUNG-Autoren nicht anders. Deshalb lassen wir unserer Wut in der Reihe „Hassobjekt“ einfach freien Lauf und geraten überspitzt in Rage. Eins ist sicher: Nichts ist uns heilig und keiner wird verschont. Dieses Mal auf der Abschussliste: verlorene Freundschaften.

Es beginnt meist mit einem Lächeln, einem gemeinsamen Lachen. Dann Kaffee, Bier, Gespräche über Studium und Freunde. Irgendwann kocht man gemeinsam, spricht über Lebenspläne und Beziehungskrisen. Und dann – nichts mehr.

Das Ende von Freundschaften tut mindestens genauso weh wie das Ende von Liebesbeziehungen

Vermutlich hat jeder im Laufe seines Lebens bereits Freunde verloren. Man sagt, man lebt sich auseinander, andere Städte, anderes Leben und sowieso, man ist einfach viel zu beschäftigt. Alten Freundschaften hinterherzutrauen, ist ähnlich albern, wie der letzten Beziehung nach zu weinen, es bringt nun mal nichts. Aber das Ende einer Freundschaft ist schwerer zu ertragen, der Schmerz irgendwie dumpfer, weil es selten ein ausgesprochenes Ende ist. Meistens lebt man sich wirklich auseinander, entwickelt andere Interessen und da trifft das alte Sprichwort einfach zu – aus den Augen, aus dem Sinn. Ich hatte einfach keine Zeit, sagen wir und es schmerzt auch nur ein kleines bisschen. Weil jeder genau weiß, dass man sich die Zeit nimmt für Dinge, die einem wichtig sind. Eine Freundschaft fallen zu lassen, ist immer auch ein Zeichen von verlorenem Interesse, von nicht mehr vorhandener Verbundenheit. Und das tut weh.

Erst letztens gab es eine Studie, die besagte, Einsamkeit sei so schädlich wie 15 Zigaretten am Tag. Und eine weitere, die feststellte, dass die Menschen immer weniger Freundschaften haben und pflegen. Ganz besonders ab dem 30. Lebensjahr geht die Anzahl an Freunden rapide zurück. Der erste Schulabschluss, die erste beendete Ausbildung, die zweite gescheiterte Beziehung. Lebenseinschnitte, die alles verändern. Wie schön, Freunde zu haben, die einem in solchen Umbrüchen zur Seite stehen. Nur leider, leider geht mit einer Veränderung, mit einem großen Einschnitt im Leben auch ein Bruch durch die meisten Freundschaften. Menschen, die man früher jeden Tag in der Arbeit oder an der Uni sah, verliert man aus den Augen. Die Wohnung, aus der man schon so oft sturzbetrunken getorkelt ist, gehört jetzt jemand anderem. Neue Stadt, neuer Job – neue Freunde.

Wie kommt scheinbar jeder damit klar, permanent an Menschen erinnert zu werden, die nicht mehr da sind?

So ist das nun mal, sagen die, die nicht so wie ich, sondern schon so richtig erwachsen sind. You win some, you lose some. Aber wie, wie verdammt nochmal, geht offensichtlich jeder Mensch so gut damit um, in einem Mausoleum von nicht mehr anwesenden Menschen zu leben? Jeder, außer mir. Wenn ich nach Hause gehe, denke ich an die Person, die immer gelacht hat, weil die Bezeichnung für den Geruch von Sommerregen auf Asphalt viel zu hässlich ist. Dann ziehe ich den Schlüssel hervor, an dem ein Anhänger hängt, der mal die Eintrittskarte für einen Club war, den ich mit einer Freundin besucht habe. Der Club hat mittlerweile zugemacht, die Freundin ein Kind und keine Zeit mehr. Das Bild im Flur. Das Lied, das morgens immer läuft. Der Geruch von Lagerfeuer. Meine Wohnung, mein Leben, meine Persönlichkeit, alles ist zugepflastert mit Erinnerungen. Mit Erinnerungen an und von Menschen, die längst selbst zur Erinnerung geworden sind.

Ich will das nicht. Ich will, dass alle Menschen, die man jemals gern mochte, wie in kitschigen alten Filmen zusammen am Lagerfeuer sitzen, und sich erzählen, was ihr Leben so macht. All diese Skype-Gespräche, all diese verschobenen Termine und abgesagten Telefonate machen mich so wütend. So wütend, dass man sich immer für zu wichtig hält, um Freundschaften zu halten, dass man so schnell vergisst, wer einem so lange zur Seite stand. Das tut jeder, ich bin keine Ausnahme. Erst werde ich wütend, angesichts der schwindenden Freundschaft. Und dann traurig.

Lieber in Erinnerungen schwelgen, als sich mit dem endgültigen Ende zu konfrontieren

Manchmal sitze ich da, nach einem Bier zu viel, und meine Finger tippen immer wieder dieselben Worte in mein Handy, die ich dann doch wieder lösche. Weil sie albern sind und ich mich albern fühle, irgendwie abhängig. Wie jemand, der nicht loslassen kann. Die Nummer könnte ja auch bereits eine andere sein, die Leben sind es sowieso. Und wie jedes Mal bin ich doch zu feige. Man sonnt sich lieber in den schönen Momenten, die man gemeinsam erlebt hat, als sich mit der Gewissheit zu konfrontieren, dass manche Beziehungen einfach nicht für die Dauer geschaffen sind. Lieber gar nicht sehen, als sich gegenüber zu sitzen, und zu merken, dass man sich einfach nichts mehr zu sagen hat.

Es hört immer genauso auf, wie es angefangen hat. Mit einer Begegnung. Mit einem Blick. Einem Lächeln. Einem kurzen Hallo. Nur folgt dieses Mal nichts mehr darauf.

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Bildquelle: Unsplash unter CC0 Lizenz