Rot werden: für viele eine Strafe

Hassobjekt: Rot werden

Jeder kennt sie, jeder hasst sie und doch brauchen wir sie wie die Luft zum Atmen: Nervige Klientele und unnütze Gegenstände des Alltags, über die man sich so richtig schön echauffieren kann – da geht es den ZEITjUNG-Autoren nicht anders. Deshalb lassen wir unserer Wut in der Reihe „Hassobjekt“ einfach freien Lauf und geraten überspitzt in Rage. Eins ist sicher: Nichts ist uns heilig und keiner wird verschont. Dieses Mal auf der Abschussliste: Rot werden.

Ich sitze vor meinem Laptop, sehe 30 Zoom-Kacheln vor mir. „Wir beginnen mit einer kurzen Vorstellungsrunde“, höre ich unsere Dozentin sagen. Gibt es auf der ganzen Welt irgendeinen schlimmeren Satz? Ich lausche den Ausführungen meiner Kommiliton*innen, höre das gefühlt 200. Mal, wie alt sie sind, aus welchem Kaff sie kommen und wo genau sie ihr Praktikum gemacht haben. Nichts dabei. Eigentlich bin ich nicht verunsichert, Angst habe ich auch nicht. Schließlich kenne ich die ganzen Gesichter vor mir ja. Aber ich weiß, dass es wieder los gehen wird, sobald ich beginne zu sprechen. Mir wird warm. Ich spüre, wie mir die Hitze ins Gesicht steigt. Und weiß ganz genau: ich bin rot wie eine Tomate.

Ich fühle mich von meinem Körper hintergangen, verarscht. Selbst in Situationen mit Freund*innen, in denen ich mich absolut wohl fühle, denkt er mir eines reinwürgen zu müssen und meine Gesichtsfarbe zu der einer Tomate zu machen. Das ist mir dann meistens so unangenehm, dass ich noch röter werde. Danke für nichts. Das ist wie eine Strafe, gebrandmarkt als die „Unsichere“, obwohl das meistens eigentlich gar nicht so ist. Manchmal versuche ich mich aus der Situation irgendwie rauszureden und sage: „Ich verstehe es selbst nicht, mir ist nichts peinlich oder so.“ Aber dann kommt das Totschlagargument: „dAnN wÜrDeSt Du jA nIcHt RoT wErDeN.“

Was mich auch gleich dazu bringt, meine Frage von oben neu zu überdenken: Es gibt einen schlimmeren Satz als den der Vorstellungsrunde. Sogar mehrere, wenn ich so darüber nachdenke. Und zwar die Kommentare meiner Mitmenschen zu meiner Hautfarbe. „Also ich find es süß, wenn du rot wirst.“ Süß? SÜSS? Na vielen Dank auch, das ist natürlich genau der Eindruck, den ich in der Uni oder an meinem Arbeitsplatz vermitteln möchte. Ich bin mir nicht sicher, ob das ein Kompliment sein soll oder eine ganz besonders gemeine Art mich daran zu erinnern, dass ich nicht wirklich kompetent wirke. Auch einer meiner Lieblinge: „Ach, da musst du doch nicht rot werden.“ Danke. Würde gerne darauf verzichten. Aber wenn du es schon so sagst, dann werde ich beim nächsten Mal einfach nicht mehr rot. Easy. Dieser Satz ist auch einfach so bloßstellend, als ob es noch nicht unangenehm genug wäre. Was will man damit bezwecken? Wie wäre es denn mit einfach mal nichts sagen und die Klappe halten? Ich wäre den Leuten sehr dankbar.

Das erinnert mich an meine Schulzeit. Ich kann mich noch daran erinnern, wie sich alle nach mir umgedreht haben, wenn ich aufgerufen wurde. Ha ha. Da wird jemand rot, wie lustig. Oder damals, als wir in Bio gelernt haben, wann sich Blutgefäße wie verengen und was das mit der Körperfarbe zu tun hat. Alle haben begonnen zu lachen und mich angeschaut. Und wir wissen alle, was das bedeutet: ich wurde rot. Referate waren Folter. Ich habe mich gefühlt wie auf einem Präsentierteller. Wie ein Reh, was in die Enge getrieben wurde und jetzt regungslos im Lichtkegel steht. Seinem Schicksal überlassen.

Einige Kilo Make Up (das überdeckt die Hautfarbe gut) und ein paar Selbstbewusstseinsschübe später, wurde es besser. Ich wurde fast gar nicht mehr rot. Erst als es in der Uni mit Zoom los ging, war es wie früher. Das Problem war: ich habe mich selbst gesehen, wenn ich gesprochen habe. Und wenn ich gesehen habe, dass ich rot wurde – auch wenn es nur minimal war – hat mich das so an früher erinnert, dass ich wieder knallrot wurde. Eine Angst, die ich irgendwie schon fast vergessen hatte, wurde wieder erweckt.

Ich glaube, das ist eine Strafe, die mich mein Leben lang verfolgen wird. Verstecken davor kann ich mich leider auch nicht. In der Dunkelheit würde mich ja jeder finden. So rot wie ich leuchte.

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Bildquelle: Kat Smith auf Pexels