Hassobjekt: Ski- und Snowboardfahren – wenn’s nur noch bergab geht

Jeder kennt sie, jeder hasst sie und doch brauchen wir sie wie die Luft zum Atmen: Nervige Klientele und unnütze Gegenstände des Alltags, über die man sich so richtig schön echauffieren kann – da geht es den ZEITjUNG-Autoren nicht anders. Deshalb lassen wir unserer Wut in der Reihe „Hassobjekt“ einfach freien Lauf und geraten überspitzt in Rage. Eins ist sicher: Nichts ist uns heilig und keiner wird verschont. Dieses Mal auf der Abschussliste: Wintersport.

Ich rufe meine Freundin an und frage, ob ich morgen ihren Helm ausleihen darf. Ich fahre zu meinen Eltern, um da Snowboardhose und Winterjacke zu packen. Zuhause wasche ich Thermounterwäsche und hole mein verstaubtes 300-Franken-Snowboard aus dem Keller. Ja, es geht auf die Piste. Und ja, ich hasse mich für die übermütigen fünf Minuten, in denen ich mich zu dem Quatsch hab überreden lassen. Hurra!

Wo ist denn da der Fun, bitteschön?

Irgendwann ist endlich alles zusammengesucht und ich sitze im Zug Richtung Berner Alpen. Das einzige was mich jetzt gerade erfreut, ist der Tüten-Orangensaft, an dem ich voller dunkler Vorahnung nippe. Was soll das für ein Tag werden, wenn schon eine halbe Stunde nach dem Verlassen der gemütlichen Bettwärme, die Kanten des Boards in meine klammen Finger schneiden, weil die Handschuhe im Rucksack sind und ich noch keinen Weg gefunden habe, mein Board schmerzfrei zu transportieren? Das ist eine ernst gemeinte Frage. Wer tut sich so was an, früh morgens, in der Dunkelheit, in der Kälte, mit unendlich viel Gepäck in noch kältere Berge zu fahren?

Nun ja, zumindest da wo ich herkomme, macht das jeder. Und jeder macht es mit Freude. Außer ich. Ich hasse es! Das wird mir einmal mehr klar, als ich schließlich am Fuß der Rinderalp stehe und an diesem weißen, bedrohlichen und echt verdammt steilen Berg hochschaue. Was ist denn das überhaupt für ein Aufwand-Ertrag-Verhältnis hier? Ich verbringe Tage mit der Vorbereitung und dem Zusammensuchen der Ausrüstung, nur um dann gewichtig mitgeteilt zu bekommen, dass meine gestrickten Bettsocken keine geeigneten Skisocken sind (WTF Skisocken?!). Ich verbringe Stunden in einem vollgestopften Zug und damit, mich in die Skihose vom vorletzten Jahr zu quetschen. Und der Gipfel – ich zahle dafür ein Vermögen: Um meine Knochen vorzugsweise ungebrochen eben diesen Berg runter zu befördern, auf einem verdammt rutschigen Brett, und das auch noch mehrmals – einen ganzen Tag lang. Wo ist denn da der Fun, bitteschön?

Den scheinen tatsächlich alle irgendwie gefunden zu haben. Außer ich. Ich hänge im Sitz der Gondel, wie der Todgeweihte in seiner Schlinge. Meine Stoßgebete, die Fahrt (oder der Flug?) möge nie enden, werden nicht erhört und ich muss in einem Moment der inneren Panik, bzw. Hoffnung, die Gondel könnte wieder mit meinem Brett runterfahren, dieses aus der Halterung fischen und Platz für die nächste ankommende Kapsel machen. Jetzt gibt es kein Entkommen mehr: Nicht der Kopf, aber die Füße müssen in die Schlingen, der feste Boden sagt Lebwohl und der Schnee färbt sich hinter meiner verkratzen Brille gelb-orange. Alles Zeichen dafür, dass ich überhaupt nicht da bin, wo ich an einem Samstagmorgen eigentlich sein sollte.

Kinderquälerei und Drehrestaurants

Es ist nicht so, dass ich das zum ersten Mal machen würde, oh nein: Denn in der Schweiz gibt es diese unglaublich furchtbare Erfindung des obligatorischen Skilagers ab der 5. Klasse, wo ich zwangsläufig Snowboarden lernte. Aber lasst mich das erklären: Jeder Schüler muss wählen, ob er Ski fährt oder Snowboard (Schlittschuhlaufen oder Schlitteln zählt nicht – glaubt mir, ich hab’s versucht). Dann wird er gezwungen, eine Woche lang, jeden Tag von früh bis spät genau das zu machen. Eine Widerrede wird nicht geduldet. Und so läuft das. Jahr für Jahr. Einmal hatte ich Glück, da hatte der Gruppenleiter von uns unmotivierten Anfängern genauso wenig Bock wie wir, also verbrachten wir den ganzen Morgen im Drehrestaurant auf dem Schilthorn, das sich für den perfekten 360 Grad Ausblick in 45 Minuten einmal um sich selber dreht. Das reichte ziemlich genau für fünf Drehungen.

Und jetzt – oder besser gesagt während diesen fünf euphorischen Minuten vor ein paar Tagen – dachte ich mir, ist es vielleicht ja ganz witzig, ohne den schulischen Zwang die Piste unsicher zu machen (und ‚unsicher’ meine ich wortwörtlich, ich bin so mit mir selber beschäftigt, dass ich sicher nicht noch auf die anderen abartigen Spinner achten kann). Mal ohne die mitleidigen Blicke meiner früheren Mitschüler, die – wie es sich für Schweizer Säuglinge gehört – schon auf den Skiern standen, bevor sie überhaupt realisierten, wofür ihre Beine da sind. An dieser Stelle, liebe Mama und lieber Papa, schiebe ich alle Schuld an meinem Wintersport-Defizit euch in die Schuhe. Warum habt ihr mich nicht auch zu einem dieser 2-Jährigen Mini-Flitzer erzogen, die mich heute mit frechen Kurven überholen, während ich abwechselnd auf der Rückkante meines Snowboards und meinem Po den Hang runtertuckere?

Wenn die Sessellift-Fahrten die einzigen Lichtblicke sind

Aber alles Resignieren bringt nichts. Ich lasse den Tag und die Schmach der 2-Jährigen Flitzer über mich ergehen, versuche die Mittagspause soooo lange auszudehnen, wie möglich und verfluche alle hübschen Schneehäschen, die es irgendwie schaffen, in dieser beschissenen Snowboardhose tatsächlich eine gute Figur zu machen. Meine Lichtblicke sind die Sessellift-Fahrten, auf denen ich mir dank der Aussicht und der kurzen wohlverdienten Ruhe einreden kann, dieses Theater hier echt gern zu machen. Und dass ich das Geld, die Zeit und die schmerzenden Waden ziemlich bereuen werde, versuche ich auszublenden. Denn ist man erst mal oben, geht’s nur noch bergab.

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Bildquelle: Unsplash unter CC0 Lizenz