Hassobjekt: Herpes

Hassobjekt: Herpes

Jeder kennt sie, jeder hasst sie und doch brauchen wir sie wie die Luft zum Atmen: Nervige Klientele und unnütze Gegenstände des Alltags, über die man sich so richtig schön echauffieren kann – da geht es den ZEITjUNG-Autoren nicht anders. Deshalb lassen wir unserer Wut in der Reihe „Hassobjekt“ einfach freien Lauf und geraten überspitzt in Rage. Eins ist sicher: Nichts ist uns heilig und keiner wird verschont. Dieses Mal auf der Abschussliste: Herpes. 

Lieber (verhasster) Herpes,

mit dir fängt es immer gleich an: Ich wache auf, nichtsahnend, noch schlaftrunken. Dann spüre ich es, ein leises Pochen auf meiner Lippe. Ich bin schlagartig hellwach und habe nur einen Gedanken: Bitte, bitte, lass es keinen Herpes sein! Nicht schon wieder! Ich renne panisch ins Badezimmer – und dann sehe ich dich vor mir im Spiegel, wie du es dir auf meiner Lippe bequem gemacht hast. Du bist noch ganz klein, aber ich weiß, du wirst sehr schnell sehr gewaltig. Am liebsten würde ich sofort meinen sozialen Rückzug in die Wege leiten, so lange, bis du wieder weg bist. Aber das geht natürlich nicht. Nur wegen eines Herpes kann man sich nicht tagelang in den eigenen vier Wänden verbarrikadieren. Also heißt es stark bleiben und trotz totaler Gesichtsentstellung raus in die Welt.

 

Ich hasse dich jetzt schon.

Es gibt so gut wie nichts, was gegen einen Herpes hilft, wenn er erst einmal da ist. Weder virushemmende Herpes-Cremes oder -Pflaster noch sonst irgendein Wunder-Hausmittel. Ich muss ihn also in meinem Gesicht ertragen, ungefähr eine Woche lang. Es reicht natürlich nicht, dass mein optisches Erscheinungsbild total ruiniert ist, nein, du musst auch noch höllisch wehtun. Ich bin mir ziemlich sicher, mein Hass auf dich beruht auf Gegenseitigkeit. Warum sonst solltest du mir mein Leben drei bis viermal pro Jahr zur Hölle machen? Deinen Angriff auf mein Äußeres startest du mit aggressivem Pochen, das ungefähr einen Tag andauert. Danach wächst du freudig weiter bis auf Mindestgröße, damit du auch wirklich jedem Menschen aus meinem täglichen Umfeld sofort auffällst.

 

Überschminken? Klappt nicht.

Mir bleibt also die Wahl zwischen Pest und Cholera: Entweder gar nichts tun oder auf ein Heilungs-Wunder hoffen und doch mit einer Creme nachhelfen. Dann muss ich allerdings in Kauf nehmen, dass der weiße Cremefleck mindestens genauso ins Auge sticht wie der Herpes selbst. Diejenigen, die auch immer mal wieder von dir betroffen sind, werden mich verständnisvoll und mitleidig ansehen und Gott im Stillen dafür danken, aktuell keinen Herpes zu haben. Aber die übrigen Glücklichen, die noch nie in ihrem ganzen Leben Bekanntschaft mit dir gemacht haben, reagieren panisch angeekelt.

 

„Oh Gott, ist der ansteckend?“

Nein du Glückspilz, es sei denn, ich fange hier und jetzt an, wild mit dir zu knutschen. Das sage ich natürlich nicht laut, sondern erkläre, dass sich Herpes-Viren entweder durch Speichelkontakt oder durch Tröpfcheninfektion, also Niesen oder Husten, übertragen. Und dass sie vererbbar sind. Herpes-Opfer können sich also bei ihren Erzeugern bedanken. Insgesamt tragen 85 Prozent der Bevölkerung das Herpes-Virus im Körper, bei manchen tritt er dann in Form von Bläschen aus – bei manchen nicht. Nie. Sowas von ungerecht. Wer nicht das unverschämte Glück hat, ein Leben ohne den verhassten Begleiter Herpes zu führen, stellt sich oft die Frage: Warum ausgerechnet ICH? Und warum ausgerechnet JETZT? Auf wundersame Weise schafft es der gemeine Piesacker, jedes Mal zu den ungünstigsten Zeitpunkten aufzutauchen. Du hast übermorgen ein super wichtiges Vorstellungsgespräch? Du bist auf dem Weg in den Strandurlaub? Hallo, hier bin ich. Ein neuer Herpes sprießt auch genau dann, wenn wir sowieso schon erkältet oder dauergestresst sind. Kaum ist das Immunsystem anderweitig beschäftigt, nutzt der Herpes die Gelegenheit für seinen nächsten Auftritt. Alles pure Absicht!

 

Herpes = Aggression pur

Falls du mich bis dahin noch nicht komplett in den Wahnsinn getrieben hast, schaffst du es spätestens in der nächsten Phase: Dem Aufplatzen der Bläschen und das schon bei der allerkleinsten Berührung. So ein Lippenbläschen stellt die persönliche Schmerzgrenze ganz schön auf die Probe. Meine Aggressionsschwelle ist so niedrig wie nie. In den „Herpestagen“ ist es für alle Beteiligten das Beste, den gegenseitigen Kontakt auf ein Minimum zu beschränken. Es kann durchaus passieren, dass meine unschuldigen Arbeitskollegen, Bekannten oder Familienmitglieder meine Aggressions-Ausbrüche hautnah miterleben müssen. Schon beim kleinsten Auslöser. Schuld daran bin ja nicht ich, sondern der fette Aggressiv-Macher auf meiner Lippe. Für die Zukunft möchte ich mich jetzt schon bei meinem sozialen Umfeld für mein aggressiv auffälliges Verhalten entschuldigen. Nach dem gefühlt hundertsten Mal Platzen trocknet der Herpes dann gaaaaaanz langsam aus. Das Pochen nimmt ab und was bleibt, ist ein abheilender, dunkler Fleck, aber immerhin ist jetzt endlich ein Ende unserer gemeinsamen Zeit in Sicht. Ciao Herpes und bis hoffentlich nie, nie, nie mehr wieder!

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Bildquelle: Unsplash unter CC0 Lizenz