Liebeserklärung an: Die Kleinstadt
Es sind die kleinen Dinge, die uns unseren tristen Alltag versüßen und das Leben ein bisschen besser machen. Ob es hübsche Gänseblümchen sind, die am Straßenrand wachsen oder eine Kugel deiner liebsten Eissorte – wir alle haben kleine Muntermacher in unserem Alltag, über die wir nur selten ein Wort verlieren. Das soll sich jetzt ändern! Wir bieten euch eine Liebeserklärung an die kleinen Dinge, die uns in stressigen Situationen retten, an schleppenden Tagen motivieren oder uns die guten Tage versüßen!
Liebe kleine Heimatstadt,
du bist der Ort, an dem meine beste Freundin nebenan wohnt, ich mit dem Fahrrad alles erreiche und jeder über jeden Bescheid weiß. Doch ich habe meine Zeit gebraucht, bis ich mich mit dir anfreunden konnte. Im Grundschulalter erschien es mir als das größte Glück, dass ich mich innerhalb von wenigen Minuten zum Spielen mit sämtlichen meiner Freunde treffen konnte. Na gut, eigentlich waren es unsere Mütter, die über unsere Zusammenkünfte mit Playmobil, Lego und Kuscheltieren entschieden haben.
Mit zunehmendem Alter stieg dann mein Ärger über dich. Deine Möglichkeiten schienen mir zu stark begrenzt, ich hingegen war der Meinung, die Welt ruft nach mir. Du hast mich eingeengt und mich wütend gemacht mit deinen lächerlich sauberen Straßen und ordentlichen Bewohnern und vor allem mit der Tatsache, dass nicht einmal der Dönermann am Wochenende länger als bis Mitternacht geöffnet hat. Du bist Schuld an all den Nächten, in denen ich hungern musste und an all den Morgen danach, wo mich der Kater meines Lebens wegen mangelnder Grundlage regungslos im Bett zurückließ! Immerhin waren meine Freundinnen immer in unmittelbarer Nähe, damit ich meinen Frust über dich mit ihnen teilen konnte.
Die wenigen Bars der Stadt kannte ich schon lange auswendig, bevor ich überhaupt legal Alkohol hätte trinken dürfen. Ich kenne jedes Schaufenster, jeden Garten, jeden Pflasterstein und jede Straßenecke. Letzteres hat mir schon in so manchen Nächten den Heimweg erheblich erleichtert, denn mein Fahrrad führte mich immer zielsicher nach Hause, wenn ich einmal nicht mehr wusste, wo oben und unten ist. Das ist der für mich alles entscheidende Vorteil an dir, für die ich keinen Großstadt-Pendler beneide: Egal, wohin ich möchte, mit dem Fahrrad erreiche ich alles. Goldene Regel. Deine Busfahrzeiten würde ich zwar als in Ordnung bezeichnen, trotzdem konnte mich keine Hitze, keine Tages- oder Nachtzeit, kein Regen oder Gewitter von meinem Fahrrad reißen. Allein schon deswegen, weil ich keine vergünstigten Busfahrmarken bekommen habe, weil – wer hätte es gedacht – ich zu nah an der Schule gewohnt habe. Das bedeutete aber auch: Länger schlafen als alle anderen, die von weiter her kommen. Danke, dass ich nie in der Kälte auf den Bus warten musste oder auf meine Eltern, die mich abholen sollen, aber noch im Stau stehen.
Du hast mich nie im Stich gelassen
Du kennst mich so gut wie sonst keiner und hast mich in all meinen Facetten erlebt. Du hast meine ersten Schritte gesehen und meine ersten Wörter gehört und meine schlecht vorbereiteten Referate mit ansehen müssen. Du hättest ruhig weggucken können, als ich mich besoffen im Club übergeben musste! Aber all die unendlich kitschigen Liebesszenen haben dir sicherlich die ein oder andere Träne der Rührung aus dem Auge gedrückt. Du hast mir deine wundervollen Bewohner gezeigt, ohne die ich schneller eingegangen wäre als ein frisch gekaufter Topf Basilikum und die mich in spontanen Partynächten nie im Stich gelassen haben. Das letzte, was du von mir gesehen hast, war mein Nummernschild bei meinem Umzug in eine andere Stadt, aber den Rücken ganz zugekehrt habe ich dir nie.
Unkomplizierter hätte es nicht sein können
Vorübergehend wohne ich zur Zeit in einer Großstadt und ich bin einsichtig geworden: Der ewige Verkehr, der immer gleiche Stress mit der Bahn und die vielen, vielen Menschen gehen mir so dermaßen auf die Nerven, dass ich mich fast schon freue, wieder in die kleine Stadt zurück zu kehren, in der ich eigentlich studiere. Es kommt wirklich nicht immer auf die Größe an, sondern darauf, was du daraus machst.
Ich habe dich immer vehement verteidigt, wenn andere sagten, du seist ein Dorf, auch wenn du auf den ersten Blick nach nicht viel mehr aussiehst. Für mich bist du alles und ich möchte dir für die vielen Jahre danken, in denen du mir beigestanden bist, wie ich lachend und weinend durch deine Straßen gezogen bin. Egal ob ich top gestyled war oder der Wer-ist-dieser-Penner-Look aus Faulheit und Zeitmangel auf dem Programm stand, du hast mich nie verurteilt. Ich vermisse dich und deine unkomplizierte Art. Ich weiß, dass wir wegen Studium und Arbeit erstmal nicht mehr für längere Zeit zueinander finden werden, aber wenn ich im Notfall mal ein Zuhause brauchen sollte, wirst du für mich da sein.
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Bildquelle: Unsplash unter CC0-Lizenz