Viele Menschen leiden unter einer Angststörung

Wenn Panik und Angst zum alltäglichen Begleiter werden

Die Angst ist ein alltäglicher Begleiter vieler Menschen. Sie gehört zum Leben dazu und ist ein wichtiges Warnsignal unseres Körpers. Wenn diese Reaktion jedoch entgleist und krankhaft wird, spricht man von einer Angststörung.

Emily liegt auf dem Sofa. Sie fühlt sich schon den ganzen Tag etwas unwohl, kribbelig und irgendwie aufgewühlt. Vieles geht ihr durch den Kopf, einen Ausweg aus ihren Gedanken findet sie nicht. Und dann ist da noch diese Bekannte gestorben, wovon sie heute erfahren hat. Emily kennt sie kaum, aber der Tod im Allgemeinen macht ihr Angst. Sie versucht Luft zu holen, merkt, dass es ihr schwer fällt. Sie setzt sich auf und versucht tief durchzuatmen. Aber es geht nicht. Ihre Hände beginnen zu zittern, das Herz zu rasen. Sie steht auf, setzt sich wieder hin, als es nicht besser wird. Tränen laufen ihr über die Wangen: Emily hat eine Panikattacke.

Eine Panikattacke ist eine plötzlich auftretende Alarmreaktion des Körpers. Sie wird begleitet von körperlichen und emotionalen Symptomen wie Brustschmerzen, Atemnot, Schwindel oder Übelkeit. Panikattacken sind relativ häufig und kommen pro Jahr bei mindestens 11 Prozent der Erwachsenen vor. Oftmals sind sie Symptom einer Angststörung: Allein in Europa leiden rund 60 Millionen Menschen daran, ungefähr zwölf Millionen sind es in Deutschland. Frauen sind öfter davon betroffen als Männer.

So auch Lina. „Ich habe Angst vor Terror und davor, dass den Leuten etwas passiert, die mir wichtig sind“, sagt sie. Sie fürchtet Plätze mit großen Menschenmassen. Besonders Angst macht ihr auch das Zugfahren. Denn da könnte sie nicht fliehen, wenn ein Terrorist den Zug betreten würde. „Das erste, was ich mache, wenn ich einen Raum betrete, ist darüber nachzudenken, wohin ich laufe, wenn was ist“, erzählt sie. Manchmal kann Lina Tage vor einer Zugreise nicht schlafen. Und wenn doch, dann wird sie von Albträumen heimgesucht. „Wenn ich alleine bin, beginne ich oft zu weinen. Mein Herz fühlt sich bei einer Panikattacke an, als ob es stoppen würde.“ Woher genau ihre Angst kommt, weiß Lina nicht. Sie glaubt, diese Angst schon immer zu haben. „Es wurde mit der Zeit nur schlimmer“, sagt sie. „Ich denke mehr darüber nach als früher und war einigen Triggern ausgesetzt.“ Einer davon der rechtsradikal motivierte Anschlag in München 2016.  Lina war zu dem Zeitpunkt mit ihrer Familie in der Nähe. Ihre Mutter und Schwester waren nicht in Sichtweite. „Überall war Polizei, wir haben uns solche Sorgen gemacht“, erzählt sie. „Solche Situationen haben meine Angst extrem verstärkt.“

Man unterscheidet zwischen verschiedenen Arten von Angststörungen. Während bei einer spezifischen Phobie die Angst durch konkrete Objekte oder Situationen hervorgerufen wird, sind die Sorgen bei einer generalisierten Angststörung nicht auf bestimmte Situationen beschränkt. Die Angst kann ohne Grund auftreten, oft beschäftigen Betroffene auch reale Bedrohungen wie Krankheiten oder Unfälle, sie haben das Gefühl einer nahenden Katastrophe. Die Furcht ist dabei übersteigert. Eine weitere Form von Angststörungen ist die Soziale Phobie. Sie ist eine extreme Form der Schüchternheit. Menschen mit einer Sozialphobie haben in Situationen Angst, in denen sie sich von ihren Mitmenschen kritisch betrachtet oder beobachtet fühlen. Bei einer Panikstörung werden die Patient*innen von plötzlichen Attacken überfallen. Sie können aus heiterem Himmel kommen, die Patient*innen leiden unter ständiger Angst vor der nächsten Attacke. Sie ist mit starken körperlichen Symptomen verbunden.

„Ich habe plötzlich keine Luft mehr bekommen“, erzählt Luisa. Zusammengekauert saß sie in der Ecke des Sofas. Sie hat extrem gezittert und geweint. „Das Atmen ging teilweise gar nicht mehr.“ Sie wusste nicht, was los ist, oder, ob vielleicht mit ihrem Herzen etwas nicht stimmt. „Nach einer Stunde hat meine Mutter dann den Krankenwagen gerufen“, erzählt Luisa. Die Sanitäter haben Luisa versucht zu beruhigen und sie dann mit ins Krankenhaus genommen. „Da wurden alle meine Werte gecheckt.“ Eine körperliche Ursache wurde jedoch nicht gefunden. Nach ein paar Stunden hat Luisa sich wieder beruhigt und konnte nachhause. „In den nächsten Tagen hatte ich extrem Angst davor, dass das nochmal passiert und habe nicht so gut Luft bekommen“, erzählt Luisa. Es war die Angst vor der Angst. Einen richtigen Trigger für die Panikattacke gab es nicht. „Ich habe dann aber gemerkt, dass mich das irgendwie mehr beschäftigt hat, als ich dachte. Das ist dann irgendwie alles ausgebrochen.“ So stark war Luisas Panikattacke erst einmal. Danach hat sie öfter gemerkt, dass es nochmal passieren könnte, wenn sie jetzt nicht aufpasst und sich beruhigt. „Das ist immer dann, wenn zu viel los ist, wenn ich irgendwie überfordert bin und keine Zeit habe, über all das nachzudenken.“ Woher genau ihre Ängste kommen, weiß Luisa nicht. „Ich bin aber schon ein sehr sensibler Mensch“, sagt sie.

Individuelle Charaktereigenschaften wie Sensibilität können die mentale Gesundheit beeinflussen. Andere Faktoren sind die genetische Veranlagung, das soziale Umfeld, die Bildung oder die Vergangenheit. Auch die Corona-Pandemie ist dafür verantwortlich, dass sich Angststörungen und Panikattacken entwickeln oder sogar verschlimmern. Die Einsamkeit hat sich verstärkt, Strukturen sind weggebrochen, der Therapiezugang hat sich erschwert. Wer darauf angewiesen ist, dass die Krankenkasse den Therapieplatz bezahlt, muss im Schnitt etwa sechs Monate auf einen Platz warten.

Luisa hat nächste Woche ihren ersten Termin bei einem Psychotherapeuten. „Ich dachte, ich kriege das irgendwie alleine hin“, sagt sie. Aber sie hat gemerkt, dass Hilfe ihr gut tun würde. Einfach, um jemanden zum Reden zu haben und sich selbst besser zu verstehen. Hilfe in Anspruch zu nehmen, kann Überwindung kosten. Ein Grund dafür ist die Stigmatisierung psychischer Krankheiten in unserer Gesellschaft. „Aber vor allem bei jungen Menschen ist da schon ganz viel Akzeptanz“, findet Luisa. Viele ihrer Freundinnen haben mit psychischen Problemen zu kämpfen. „Jeder macht sich Gedanken über irgendwas und geht mal durch eine schwere Phase“, sagt sie. Luisa hofft. Hofft, dass sich mehr Menschen trauen, den Schritt zur Therapie zu machen und das Verständnis dafür in der Gesellschaft wächst.

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Bildquelle: Alex Green von Pexels; CC0-Lizenz