Eine Frau sitzt vorm Laptop auf dem Sofa und zückt ihre Kreditkarte

Retail Therapy: Shopping fürs gute Gefühl

Während der Lockdown-Zeit gehörte Online-Shopping zu den liebsten Leidenschaften der Deutschen: Um ganze 16,5 Prozent steigerte sich der E-Commerce-Umsatz im zweiten Quartal 2020, verglichen mit demselben Zeitraum des vorherigen Jahres. Neue Klamotten, Bücher oder Möbelstücke lösen Glücksgefühle aus und lassen uns die Sorgen der Corona-Pandemie für einen Moment vergessen. Doch wann wird das Frust-Shopping gefährlich?

Das Phänomen des Einkaufens fürs gute Gefühl wird oft als „Retail Therapy“ bezeichnet. Wörtlich bedeutet dieser Begriff so viel wie „Einzelhandelstherapie“ und muss in erster Linie im übertragenen Sinne betrachtet werden: Selbstverständlich ersetzen regelmäßige Frustkäufe keine professionelle psychologische Betreuung. In depressiven oder stressigen Phasen kann Retail Therapy allerdings helfen, unsere Laune kurzfristig anzuheben, weshalb gegen einzelne Neuanschaffungen als Stimmungsbooster prinzipiell nichts einzuwenden ist. Problematisch wird es erst, wenn die gelegentlichen Einkäufe in ein ungünstiges, schädliches Verhaltensmuster umschlagen. In solchen Fällen spricht man von Oniomanie, auch Kaufsucht oder Kaufzwang genannt – eine ernstzunehmende psychische Störung, die mit der ursprünglichen Retail Therapy nur noch wenig zu tun hat.

Leider ist der Übergang zwischen beiden Formen oft fließend: Bereits die Retail Therapy unterscheidet sich vom herkömmlichen Einkaufen dadurch, dass sie nicht durch Bedürfnisse, sondern durch Emotionen gesteuert wird. Die neuen Produkte verschaffen uns Trost und Ablenkung, zudem sorgen sie im Hirn für die Ausschüttung des Botenstoffes Dopamin. Dieser als „Glückshormon“ bekannte Neurotransmitter ist unter anderem dafür verantwortlich, dass wir schon bald eine Wiederholung des Verhaltens anstreben – schließlich wollen wir die positiven Effekte des Frustshoppings gerne erneut erleben. Besonders limitierte oder reduzierte Artikel wecken dabei unsere Aufmerksamkeit: Nach dem Kauf haben wir „das Gefühl, dass wir ein Bedürfnis gestillt und möglicherweise eine zukünftige Bedrohung abgewendet haben. Dieses Gefühl wurde durch die Unruhe und Unbeständigkeit, die das Durchleben einer Pandemie mit sich bringt und die unsere Gegenwart und Zukunft bedrohen, verstärkt“, erklärt Umweltpsychologe Lee Chambers. Aus Millionen von online verfügbaren Produkten exakt diejenigen auszuwählen, die unseren Wünschen entsprechen und meist genau zu wissen, wann diese vor der eigenen Tür stehen, bietet eine Gelegenheit zur Kontrollausübung, welche vielen Menschen in der Corona-Zeit abhanden gekommen ist. Sobald wir die bestellten Artikel allerdings in den Händen halten, verschwinden Aufregung und Vorfreude und machen uns anfällig für weitere Bestellungen. Langfristig gesehen werden wir durch Kaufzwänge also eher unglücklich und verstricken uns darüber hinaus nicht selten in immensen Schuldenbergen.

Wer bemerkt, von gelegentlichen kleineren Frustkäufen in eine Kaufsucht zu rutschen, sollte schnellstmöglich entsprechende Maßnahmen ergreifen. Vorm Einkaufen sollte man sich bewusst machen, was man wirklich braucht, eine Liste anfertigen oder ein klares Budget festlegen. Impulsiven Menschen kann es helfen, sich ihre Wünsche zu notieren und eine Strichliste zu führen: Für jeden Moment, in dem sie an den entsprechenden Artikel denken, setzen sie einen Strich. Ist eine bestimmte Anzahl erreicht, weiß man, dass man auch langfristig Freude an dem neuen Produkt haben wird und es daher guten Gewissens kaufen kann. Darüber hinaus ist es auch möglich, durch Onlineshops oder Geschäfte zu stöbern, ohne einen Kauf zu tätigen. Mithilfe dieser Tipps und Tricks ist es oftmals möglich, aus dem toxischen Verhalten auszubrechen. Menschen, die mit ausgiebigen Shoppingtrips regelmäßige Stimmungstiefs oder Angstzustände kompensieren, sollten nicht zuletzt jedoch auch eine „richtige“ Therapie in Erwägung ziehen.

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Bildquelle: Andrea Piacquadio von Pexels, CC0-Lizenz