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Emily, 24, bekämpft ihre Schlafstörungen mit Marihuana

Von Maxi Jung

Dieser Text bildet die subjektiven Meinungen unseres Autors und seiner Interviewpartnerin ab. Er soll in keinster Weise Drogenkonsum verherrlichen. Solltest du das Gefühl haben, deinen Konsum nicht mehr unter Kontrolle zu haben, kannst du dich anonym an die telefonische Sucht- und Drogenberatung wenden.

Es ist meistens drei, vier Uhr morgens, wenn Emily* kerzengerade in ihrem Bett sitzt, hellwach und unfähig, weiterzuschlafen. „Ich kann praktisch die Uhr danach stellen“, sagt die 24-Jährige, während sie ein kleines Döschen aus ihrer Manteltasche holt. Darin versteckt ist eine betörend stark duftende, grüne Marihuana-Blüte, die sie nun vorsichtig zerbröselt.

Emily sieht nicht aus, wie man sich den klassischen Kiffer vorstellen würde. Eigentlich sieht sie eher aus, wie das genaue Gegenteil: Sie trägt Stiefeletten mit Absatz und einen schwarzen Wollmantel, ist akkurat geschminkt und das einzige Merkmal an ihr, das ich als zumindest halbwegs „rebellisch“ einstufen würde, ist ihr kleines Tattoo in der Armbeuge. Niemand käme auf die Idee, dass sie regelmäßig kifft. Tut sie aber: Jeden Abend einen Joint, mindestens, eher zwei oder drei, das kommt auf die Schwere der Schlafstörungen an, sagt sie.

Nur eine Ausrede?

Denn die bloße Lust am Kiffen ist es nicht, die Emily dazu verleitet, „ein paar hundert Euro im Monat“ für Gras auszugeben – es sind ihre Schlafprobleme. Und mit diesen kämpft sie schon seit einem knappen Jahrzehnt: Das Einschlafen fällt ihr schwer, oft wacht sie mehrmals in der Nacht auf, durchgeschlafen hat sie eigentlich seit Jahren nicht mehr. Emily dreht ihren Joint in geübten, flinken Bewegungen, zündet ihn an, inhaliert tief, seufzt danach. „Ich weiß schon, wie das aussieht. Ich kann so einfach besser einschlafen ist wahrscheinlich die beschissenste Kiffer-Ausrede überhaupt. Aber ich schwöre dir: Ich hab andere Dinge getestet. Nichts hilft.“

Emily war im Schlaflabor, hat Autogenes Training genauso ausprobiert, wie Baldriantropfen und Benzodiazepine, isst drei Stunden vor dem Zubettgehen nichts mehr, hat keine elektronischen Geräte mehr in ihrem Zimmer stehen. Früher litt sie an Depressionen, was sie aber, sagt sie, mit einer Therapie gut in den Griff bekommen hat. Sie studiert, hat einen Nebenjob und einen geregelten Tagesablauf, geht hin und wieder feiern – „Mein Leben würde ich als absolut durchschnittlich bezeichnen“, sagt sie, „außer, dass das Kiffen nunmal dazugehört.“

Zwanzig Gramm für drei Wochen

Wir sitzen in Emilys WG-Küche, vor uns liegt ein großes, durchsichtiges Plastiktütchen, mit dessen Inhalt sie nun ihr Döschen neu bestückt. „Das sind vielleicht noch zwanzig Gramm“, sagt sie und reicht mir den Joint. „Damit komme ich die nächsten drei Wochen hoffentlich klar.“ Ich habe in meinem Leben noch nie so viel Gras auf einmal gesehen und frage mich, ob ich wohl auch das Risiko eingehen würde, mit einer solchen Menge erwischt zu werden, wenn ich Schlafstörungen hätte. Die sogenannte „geringe Menge“, bei der es normalerweise nicht zu einer Strafverfolgung kommt, liegt in Bayern bei sechs Gramm.

Das hält selbstverständlich niemanden vom Kiffen ab: Der deutsche Hanfverband gibt an, dass zwischen 1,4 und 1,7 Millionen Deutsche regelmäßig Cannabis konsumieren. Davon haben nur 1.061 Personen eine Ausnahmegenehmigung, dürfen also auf Krankenkassenkosten kiffen, um beispielsweise ihre chronischen Schmerzen zu lindern. Positive therapeutische Effekte von Marihuana-Konsum wurden vor allem bei Chemotherapie- und MS-Patienten verzeichnet, die Beweislage bei Schlafstörungen ist dagegen dünn. Als ich Emily das erzähle, lacht sie bloß. „Fakt ist doch, dass ich, seitdem ich vor drei Jahren mit dem Kiffen angefangen habe, endlich wieder schlafen kann. Da ist mir die ‚Beweislage‘ ja sowas von egal.“

Schlafentzug gefährlicher als Marihuana-Konsum

Wir rauchen in den zwei Stunden, in denen wir uns unterhalten, drei Joints. Dann ist es kurz vor Mitternacht und meine Augen weigern sich hartnäckig, weiter offen zu bleiben. Emily baut sich bereits den vierten, als ich mir meine Jacke anziehe. Wie das weitergehen soll, frage ich sie noch, als sie mich zur Tür bringt. Wird sie in 20, 35 Jahren immer noch so viel kiffen? Sie zuckt mit den Schultern. „Wenn ich Glück habe, wird das Zeug sowieso bald legalisiert, dann muss ich mir keine Gedanken mehr wegen der Illegalität machen. Und wer weiß, vielleicht erkennt die Gesellschaft dann auch an, dass nicht jeder, der regelmäßig Gras raucht, ein verplanter Idiot ist, der nichts auf die Reihe kriegt.“ Wegen den Langzeitschäden mache sie sich auch keine Sorgen. „Kaum kommt eine Studie raus, die beweisen will, dass das Kiffen dumm und langsam macht, folgt die nächste, die das Ganze widerlegt. Ich zumindest merke keine Nachteile. Im Gegenteil: Nur so kann ich überhaupt funktionieren. Hast du mal versucht, zwei Wochen am Stück kaum zu schlafen? Glaub mir, dann bist du eine größere Gefahr für deine Umwelt als jeder Kiffer.“

*Name von der Redaktion geändert.

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Bildquelle: Pexels unter CC0 Lizenz