Von Handschellen und Fesselspielen: Muss Sex immer politisch korrekt sein?

So vorbildlich man sich im echten Leben als Mutter, Vater, Arbeitnehmer*in, Staatsbürger*in durch den Tag bewegt, so kontrovers können die heimlichen Fantasien und sexuellen Vorlieben sein. In der Liebe suchen wir nach Halt, Sicherheit und Beständigkeit auf der einen Seite und auf der anderen Seite sind da die je eigenen Fantasien. Rollenspiele, Machtspiele, Dominanz und Unterwerfung, Handschellen und Fesseln stehen im Kontrast zum obersten Gebot in einer Partnerschaft: Der Gleichberechtigung.

Wie aber kommt es zu diesem scheinbar zwiespältigen Verhältnis? Ist man eine schlechte Feministin, weil man beim Sex darauf steht, dominiert zu werden? Und woran liegt es, dass wir im Alltag das eine vorleben und in unserer Fantasie das andere begehren?

Erotik verfolgt eine eigene Logik

Klar, je nach Einzelfall kann sich hinter den Vorlieben immer auch eine pathologische Ursache verbergen, doch sollte man bei der Diagnose immer vorsichtig sein und nicht vorschnell urteilen. Viel wahrscheinlicher ist jedoch, dass das Feld der Erotik seine je eigene Logik verfolgt. Oft bereitet eben das Lust und Nervenkitzel, was wir in unseren Alltagshandlungen als störend empfinden. Im Schlafzimmer aber ist Raum für unausgelebte Sehnsüchte, Frust, der sich angestaut hat, Träume und Fantasien, Fesselspiele und Handschellen. Einmal ausbrechen, die Kontrolle abgeben, in andere Rollen schlüpfen, sich gehen und fallen lassen. Eben weil man sich sicher fühlt, ist es möglich mit dieser Sicherheit zu spielen und aus ihr herauszubrechen.

„Sexuelle Liebe aber ist nicht immer politisch korrekt; sie zieht auch aus Machtspielen Genuss, aus Rollentausch, unfairen Vorteilen, gebieterischen Forderungen, verführerischen Manipulationen und subtilen Misshandlungen.“ – Esther Perel aus ihrem Buch `Was Liebe braucht`

Sex als Ventil

Man kennt das Motiv des Abteilungsleiters oder der Chefin, die in ihren Berufen wie in ihren privaten Leben eine Menge Verantwortung tragen, aber sobald sich die Tür zum Schlafzimmer schließt, darauf stehen, diese Kontrolliertheit einmal abzulegen, sich im geschützten Raum zu unterwerfen und nach allen Regeln der Lust verführt zu werden.

Wir nehmen im Alltag relativ festgelegte Rollen ein, beim Sex können wir aus ihnen herausbrechen. Sex ist eben auch ein Ventil. Im Alltag erleben wir nicht nur positive Gefühle, wir empfinden Wut, Hass, wir sind traurig, genervt oder nervös. Da wir diese Gefühle untertags oftmals im Zaum halten, braucht es andere Möglichkeiten, wie wir diese angestauten Gefühle entladen können. Ein solches Ventil kann Sport sein, Kunst, oder eben auch Sex. Und Sex ist immer auch ein bisschen impulsiv und aggressiv.

Unsere Fantasien haben eine Funktion

„Was uns erregt, gerät allzu häufig in Konflikt mit unserem bevorzugten Selbstbild, unseren Moralvorstellungen oder ideologischen Überzeugungen. Als da wären: die Feministin, die sich danach sehnt, dominiert zu werden; die sexuell Misshandelte, in deren erotische Vorstellungen traumatische Erfahrungen einfließen; der Ehemann, der von dem Au-pair-Mädchen […] schwärmt, um sich für seine Frau in Stimmung zu bringen.“ – Esther Perel aus ihrem Buch `Was Liebe braucht`

Jeder hat seine eigenen Fantasien, so skurril sie auch sein mögen. Daran ist zunächst überhaupt nichts Verwerfliches. Sie sind Gedankenkonstrukte in unserem Kopf und sie besitzen im Gegenteil das Potenzial, Dinge zu kompensieren, Ängste zu überwinden und zu reparieren. Anstatt uns für sie zu schämen und sie zu verdrängen, kann es ratsam sein, einmal genauer hinzusehen. Und wenn die Möglichkeit besteht, sie im Einvernehmen! mit dem Partner oder der Partnerin auszuleben, warum sollte man das dann nicht tun dürfen, nur weil ein leises Stimmchen sagt, dass das gerade aber nicht so ganz zum eigenen strengen Selbstbild passt?

Emotionale Liebe vs. Sexuelle Liebe

Denn emotionale Liebe und sexuelle Liebe sind oftmals etwas gänzlich voneinander Verschiedenes. Während die emotionale Liebe all die Werte umfasst, die wir uns für ein gutes Miteinander im Alltag wünschen, sehnt sich die sexuelle Liebe nicht selten danach, diese Regeln einmal im geschützten Raum über Bord zu werfen. Eben weil die Erotik ihre eigene Logik verfolgt, sollte man hier nicht allzu streng zu sich selbst sein. Das gehört eben auch zum Menschsein und wenn es für alle Beteiligten in Ordnung ist, warum nicht?

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Bildquelle: Foto von Kelly Sikkema von Unsplash, CC0-Lizenz