Transmission

Transmission: Die Weitergabe von psychischen Erkrankungen innerhalb der Familie

„Der Schmerz in den Familien hört nicht auf, er wird weitergetragen. Die Enge hört nicht auf, weil du einen Raum für dich findest. Dann wirst du einfach die Enge für die anderen. Du kannst einem Krieg entkommen. Aber nicht einer Vergangenheit, die in dir tobt.“ So lautet ein Zitat von dem Autor Selim Özdogan, der in seiner Kurzgeschichte mit dem Titel Stock und Kopf einen tiefliegenden Schmerz beschreibt, der Familien oftmals anhaftet.

In der Psychologie gibt es ein Phänomen, das als Transmission bezeichnet wird. Der Begriff selbst stammt aus der Physik und bezeichnet die Durchlässigkeit eines Mediums von Wellen, beispielsweise Schallwellen. Es handelt sich um eine generationsübergreifende Weitergabe unverarbeiteter Traumata.

Bekannt wurde das Phänomen erstmals flächendeckend in den 1960er Jahren, als die Kinder der Holocaustüberlebenden ähnliche Leiden wie ihre Eltern aufwiesen. Das verwunderte umso mehr, als auch deren Kinder unter denselben Symptomen litten. Dabei waren weder die erste noch die zweite Generation direkt davon betroffen.

Wie kann das sein?

Nicht immer ist ein in der Vergangenheit liegendes, traumatisierendes Ereignis der Auslöser für Ängste, Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen. Manchmal ist die Angst, unter der man leidet, gar nicht die eigene Angst, sondern eine, die in der Familie liegt und von Generation zu Generation übertragen wird. Oft handelt es sich dabei um unverarbeitete Traumata, die dann als solche wiedergegeben werden.

Inwieweit sich die traumatischen Ereignisse im Erbgut niederschlagen, wird in der Neuroepigenetik untersucht. In der Sozialwissenschaft dagegen steht der Prozess der Aneignung im Fokus. Demnach übernehmen Kinder die Verhaltensmuster ihrer Eltern und damit gleichzeitig die Art und Weise, wie sie sich in bestimmten Situationen zu verhalten haben. Hat die Mutter beispielsweise Panik, wenn sie einen Fahrstuhl betritt, oder ins Flugzeug steigt; meidet der Vater große Menschenmassen, dann wird damit auch dem Kind eine gewisse Vorsicht signalisiert. Denn wenn Mama oder Papa vor etwas Angst haben, dann muss man als Kind erst recht Angst haben. So werden mitunter ungesunde Verhaltensmuster oft unbewusst und unbeabsichtigt an die nächste Generation weitergegeben und immer so fort.

Das erklärt den Umstand, warum psychische Erkrankungen in Familien oftmals gehäuft auftreten.

Heilung und Vorbeugung

Was kann man machen, wenn man weiß, dass man Teil eines familiären Teufelkreises geworden ist? Und wie kann man ihn durchbrechen?

Es kann schon beruhigend sein, wenn einem klar wird, dass man selbst gar nichts für die Angst, die Depression, das Trauma kann und man keine Schuld daran trägt. In konkreten Situationen kann man sich beispielsweise sagen: „Okay, ich habe gerade Angst, mein Herz schlägt mir bis zum Hals, aber ich selber BIN NICHT diese Angst, sie ist nicht die meine.“ Dieses Bewusstsein kann helfen, sich von seiner Angst zu distanzieren, anstatt sich mit ihr zu identifizieren.

Als nächsten Schritt macht es, auch im Hinblick auf die nächste Generation, Sinn, sich in therapeutische Behandlung zu begeben, um den Kreis effektiv zu durchbrechen. Es kann gut sein, dass die Ängste niemals ganz verschwinden, aber die Chancen stehen gut, dass man sie zumindest mit bestimmten Methoden einigermaßen in den Griff bekommt. Diese erworbene Widerstandsfähigkeit kann dann an die eigenen Kinder weitergetragen werden, was wiederum einen positiven Effekt hätte.

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Bildquelle: pexels, CC0-Lizenz