„Über alles reden“ – Ist das wirklich eine gute Idee?
In modernen Pseudo-Ratgebern, die sich um zwischenmenschliche Beziehungen drehen, wird immer wieder offene Kommunikation gepredigt. Radikale Ehrlichkeit wird heiliggesprochen, und man bekommt geradezu das Gefühl, ein*e Lügner*in zu sein, wenn man seine Gedanken lieber für sich behalten will.
Aber vielleicht zerstört man Situationen manchmal, wenn man über sie spricht. Vielleicht machen Worte manchmal alles kaputt. Häufig sind es die unterschiedlichen Worte, die von zwei Seiten für bestimmte Begebenheiten gewählt werden, und nicht die Begebenheiten selbst, die schöne Gefühle zerstören.
Worte und die unterschiedlichen Assoziationen mit ihnen können für heftige Streitigkeiten sorgen und Stress verursachen, der eigentlich gar nicht notwendig wäre, weil man doch ähnlich fühlt wie die Person, mit der man da gerade streitet und Stress hat.
Worte und die unterschiedlichen Assoziationen mit ihnen können dafür sorgen, dass das, was wir „Freundschaft“ oder „Beziehung“ nennen, zerbricht. Sie können dafür sorgen, dass wir glauben, uns von Menschen distanzieren zu müssen, die wir lieben und die uns lieben. Dass wir glauben, uns von Menschen distanzieren zu müssen, die fühlen wie wir.
Und warum sollte man etwas zerstören wollen, das sich gut anfühlt?
Manche Menschen würden sagen, dass man in einer Lüge lebt, wenn man eine Situation genießt, für die eine andere Person andere Worte findet als man selbst es tut. Aber stimmt das?
Denn was ändern die Worte einer anderen Person an dem eigenen Empfinden? Ist ein schönes Gefühl nur so lange ein schönes Gefühl, wie die andere Person exakt dieselben Worte wählen würde, um es zu beschreiben?
Die Assoziationen, die wir mit Worten haben, sind so subjektiv. Selbst bei einfachen und eigentlich sehr klar definierten Worten wie Berufsbezeichnungen haben verschiedene Leute offensichtlich verschiedene Dinge vor Augen. Manche Menschen stellen sich bei dem Wort „Ärzte“ wohl ausschließlich Männer vor, andere Menschen stellen sich eine Gruppe gemischten Geschlechts vor.
Und wie gesagt: Dabei handelt es sich eigentlich um ein sehr simples Wort. Völlig klar, dass die Vorstellungen, die wir von „komplizierteren“ Wörtern wie Ehrlichkeit, Betrug, Freundschaft, Liebe, Beziehung oder Eifersucht haben, noch viel diverser sein dürften.
Ist es also wirklich immer gut, über alles zu reden, wenn man sein Gegenüber mit den Worten, die man wählt, vielleicht nur verunsichern und bei der anderen Person und demzufolge auch bei sich selbst für Stress sorgen würde?
Letztendlich muss jede*r selbst wissen, wie wichtig das Aussprechen bestimmter Worte und andersherum die Wahl bestimmter Worte seitens des Gegenübers für das eigene Wohlbefinden ist – und ob es nicht manchmal besser ist, die Dinge einfach sein zu lassen wie sie sind, anstatt sie zu zerreden.
Zum Abschluss noch ein schönes Beispiel, das, frei übersetzt aus dem Spanischen, von einem Freund stammt: „Mir fällt es extrem schwer, den Wunsch zu entwickeln, eine Frau als meine ‚Freundin‘ zu bezeichnen. Deshalb hoffe ich, eines Tages einer Person zu begegnen, die frei ist, mich aber wirklich liebt.“
Mehr zum Thema findest du hier:
- „Ist da ein Lächeln hinter deiner Maske?“ – Wie Masken unsere Kommunikation verändern
- Kommunikation: „Hörst du mir überhaupt noch zu?“
- Humor und was ihn ausmacht
Folge ZEITjUNG auf Facebook, Twitter und Instagram!
Bildquelle: Creation Hill on Pexels; CC0-Lizenz