Der Eibsee am Fuße der Alpen. Bild: Unsplash

Urlaub fürs Gehirn

Der ganze Tag besteht aus laufen, schauen und essen. Mehr nicht. Die Komplexität des alltäglichen Lebens reduziert sich nunmehr auf den Rhythmus meiner Schritte. Fast schon meditativ schwitze ich den von Wurzeln durchzogenen Weg hinauf.

Und klar es ist anstrengend – und wie anstrengend es ist. Man schwitzt, die Haare kleben im Nacken und der Rucksack gewinnt mehr an Gewicht, als dass er es verliert. Mehr als einmal frage ich mich zu Beginn jeder Wanderung: Warum zur Hölle? Aber das Gefühl am Ende dort oben zu stehen, zu sehen, was man aus eigener Kraft geschafft hat, die Aussicht – all das ist es am Ende wert.

Ruhig Blut

Zugleich lernt man mal wieder etwas durch -und auszuhalten. Es gibt nicht tausende Ablenkungsmöglichkeiten, denn vom Berg muss man auch irgendwie wieder runter. Man wächst wortwörtlich über sich selbst hinaus. Und das ist heute so wichtig, etwas durchstehen, eine lange Atempause Stille ertragen, erfüllende Langeweile verspüren. Sich auskopfen und sich und den Körper mal wieder spüren. Die Natur wirklich wahrnehmen. Das ist nicht esoterisch, das ist Leben.

Gehirn im Tank

Zudem kann das Wandern das Vertrauen in den eigenen Körper stärken. Angst zu haben ist okay, ist auch normal. Aber meist werden wir inmitten unserer Komfortzone noch ängstlicher und kritischer. Die Berge reißen uns raus. Von der Engsicht in die Weitsicht. Schritt für Schritt kommt man dem großen Ziel näher und der Stress, die Beklemmung, die Angst werden gleichsam kleiner, verschwinden hinter der nächsten Biegung. Und auch die eigenen Probleme sind von dort oben, um es in Reinhard Meys Worten zu sagen „plötzlich nichtig und klein“. Das Gefühl, es schließlich geschafft zu haben, sich überwunden zu haben, erscheint neben einer niemals endenden To-Do-Liste wie eine Woche Urlaub fürs Gehirn.

Am Sonntagabend dann, wenn ich zurück bin, date ich mich wieder up, falle erneut in das schwarze Loch meines Handydisplays und merke, dass ich eigentlich nichts verpasst habe.

Mehr zum Thema:

Folge ZEITjUNG auf FacebookTwitter und Instagram!
Bildquelle: Matthias Schröder on Unsplash; CC0-Lizenz