Boxer beim Kampf

Cancel Culture vs. Fehlerkultur

Drei Wochen ist es her, dass Jan Böhmermann mit seiner investigativen Recherche und Enthüllung über Fynn Kliemann für Aufsehen im Netz gesorgt hat. Es wurde aufgedeckt, dass Kliemann, der sich immer als transparent und authentisch darstellt, über den Herkunftsort seiner Masken gelogen haben soll. Die Reaktion der Öffentlichkeit folgte prompt in Form von anklagenden und schockierten Kommentaren. Die Wut und Enttäuschung über den Vertrauensbruch sind groß. Fynn Kliemann äußerte sich selbst direkt danach und vor vier Tagen auf seiner Instagram-Seite zu den Ereignissen. Er erläutert die Geschehnisse aus seiner Perspektive und bringt die Fakten in einen anderen Zusammenhang. Darauf reagiert das Internet gespalten: Kann man ihm das Verhalten verzeihen, denn jeder macht mal Fehler oder sollte er weiterhin angeprangert werden, da er bewusst gehandelt hat? – Es steht Cancel Culture gegen Fehlerkultur.

Die Debatte um Fynn Kliemann ist nur eins von wenigen Beispielen, bei denen die Internetöffentlichkeit zwischen diesen zwei Ansichten gespalten ist: Personen wegen Fehler anprangern und ausschließen versus Fehler annehmen und vergeben. Doch was meint man eigentlich genau, wenn man von Cancel Culture oder Fehlerkultur spricht?

Cancel Culture ist eine Form des modernen Prangers. Man versteht darunter, dass eine Person oder Organisation auf Grund von fragwürdigen oder kontroversen Verhalten gecancelt wird. Durch Angriffe, meist über soziale Medien in Form eines Shitstorms, wird die Unterstützung entzogen, die Missbilligung ausgedrückt und es entsteht Druck auf die Beteiligten. Oft lässt es sich beobachten bei Themen wie sozialer Gerechtigkeit, Rassismus, Homophobie oder Sexismus. In den vergangenen Jahren gab es viele internetweite Debatten über gesellschaftsrelevante Themen. Wenn jemand sich entgegen der Meinung geäußert hat, die von der breiten Masse vertreten wird, war oft die Folge, dass es zu einem Boykott der Person gekommen ist. Zu berühmten „Opfern“ zählen beispielsweise Justin Timberlake, Ellen DeGeneres, J.K. Rowling oder Piers Morgan. Alle haben etwas gesagt, was nicht dem Sinne der Öffentlichkeit entsprach.

An der Bewegung der Cancel Culture wird kritisiert, dass es die Meinungsfreiheit einschränkt. Scheinbar wird nur noch eine Meinung von der Öffentlichkeit als die Richtige anerkannt, die Mainstreammeinung. Auf gegensätzliche oder andere Meinungen wird mit „shaming“ oder „out-callen“ der Fehler reagiert. Menschen trauen sich nicht mehr ihre Meinung (öffentlich) zu sagen, weil sie eben dieses Schicksal des Cancelings nicht auch erleiden und für jedes Wort an den Pranger gestellt werden wollen.

Mittlerweile betrachtet man im Internet Fehltritte von öffentlichen Personen oder Organisationen etwas differenzierter. Es hat sich eine positive Fehlerkultur entwickelt. Grundgedanke hier ist, dass jeder Fehler macht. Hier steht vor allem der Umgang mit den Fehlern im Vordergrund. Wenn man seinen Fehler einsieht und ehrlich bereut, sich entschuldigt und dann sein Handeln ändert, dann kann die Öffentlichkeit das akzeptieren und vergeben. Auch im Fall von Fynn Kliemann gibt es viele die seine Entschuldigung akzeptieren und vergeben. Unter dem Entschuldigungs-Video finden sich beispielsweise solche Kommentare:

Die Entschuldigung wird angenommen und das Verhalten wird verziehen…. oder?!

Ein Fehler meint, dass etwas unbedacht passiert beziehungsweise man sich aus Versehen falsch ausgedrückt hat, aber man Sachverhalte eigentlich anders meint oder sieht. Aber ab wann ist etwas einfach unbedachte Unaufmerksamkeit und ab wann eine bewusste Entscheidung? Es stellt sich die Frage, ob die Person oder Organisation etwas von den entsprechenden Aussagen revidiert oder dem Verhalten geändert hätte, wenn man damit nicht so an den Pranger gestellt würde. Gegensätzliche Kommentare, die genau das anmerken gibt es auch:

Cancel Culture und Fehlerkultur stehen sich gegenüber. Es gibt verschiedene Ansichten, wie man mit den Fehlern und Fehltritten von Personen des öffentlichen Lebens oder Organisationen umzugehen hat. Gemeinsam hat aber beides: Die Öffentlichkeit fungiert als Richter über den Sachverhalt und das Internet ist der Gerichtssaal. Die Personen auf der Anklagebank haben keinerlei Wahl darüber, ob der Fall verhandelt werden soll oder nicht. Sie können nur hoffen, dass ihre Entschuldigung als ehrlich und authentisch akzeptiert wird oder, dass sich die Aufmerksamkeit jemand anderem zuwendet…

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Bildquelle: unsplash, CC0-Lizenz