Macht das Leben auf dem Land glücklicher?

Ein Beitrag zur Nachhaltigkeit: Als junger Mensch auf dem Hof

Anne ist 19 Jahre alt und hat sich in ihrem freiwilligen ökologischen Jahr (FÖJ) für ein Leben auf dem Bauernhof entschieden. Immer mehr Menschen wollen zurück zur Langsamkeit.

Wenn Anne aus dem Fenster schaut, sieht sie eine Scheune, Bäume und ganz viele Felder. Manchmal, da laufen noch zwei Enten vorbei. Neben der Eingangstür steht eine braune Bank aus Holz. Es ist still: kein Autolärm, keine Stimmen, keine Hektik. Nur ab und zu das Knirschen des Schotterwegs, wenn einer der Mitarbeiter*innen zu den Tieren geht. Abends ist es stockfinster, weil es keine Straßenlaternen gibt. Anne lebt in einer umgebauten Scheune auf einem Bauernhof in der Nähe von Lübeck. Sie ist von der Stadt aufs Land gezogen.

Die Mehrheit der Deutschen hingegen lebt im städtischen Raum. Der Urbanisierungsgrad ist in Deutschland seit dem Jahr 2000 um rund 2,4 Prozent gestiegen. Im Jahr 2019 lebten 77,4 Prozent der Gesamtbevölkerung Deutschlands in Städten. Insgesamt altert Deutschland – und das vor allem auf dem Land. Aber Anne hatte Lust auf etwas Neues.

Anne kümmert sich jeden Tag um die Tiere auf dem Bauernhof. Das sind die Katzen Fiete und Piet, die Laufenten Olaf und Kevin, die Hähne Peter Pane und Udo, ganz viele Hühner und Schafe. Anne lacht, als sie von den Tieren erzählt. „Die sind wie so Memes sagt sie. Jeder hat seinen eigenen lustigen Charakter. Und dann noch die Namen.“ Sie steht um sieben Uhr morgens auf, mistet den Stall aus und füttert die Tiere. Einmal, da hatte einer der Hähne eine Bindehautentzündung. Anne musste ihm Augentropfen geben und ihn festhalten, während der gestrampelt und sich gewehrt hat. „Da war ich echt richtig verzweifelt“, erzählt sie. „Es fühlt sich aber schön an, dass die Tiere mir mehr und mehr vertrauen.“

Neben der Tierversorgung besuchen Schulklassen den Hof. Anne und ihre beiden Mitbewohner*innen kochen mit den Kindern, zeigen ihnen wie Landwirtschaft funktioniert. „Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass junge Menschen schon früh in den Kontakt mit Natur und Nachhaltigkeit kommen“, ist sich Anne sicher. „Manche Kinder sind total süß und interessiert. Manche hingegen haben gar keinen Respekt vor den Tieren oder irgendeine Art von Umweltbewusstsein.“ Kommentare wie „Chicken Nuggets“, wenn man den Kindern die Hühner zeigt, sind da keine Seltenheit. Das macht Anne sauer. Umso sicherer ist sie sich, wie wichtig ihre Arbeit ist.

Vor allem freut es sie zu sehen, dass es den Tieren bei ihr gut geht. Anne ist seit vielen Jahren Vegetarierin, das Leid vieler anderer Tiere macht ihr zu schaffen. Ein Moment ist ihr besonders in Erinnerung geblieben. „Ich war bei den Tieren, um sie zu füttern. Als ich gehen wollte, ist eines der Schafe auf mich zugekommen und hat mich mit seinen großen, dunklen Augen angeschaut. Es wollte nicht, dass ich gehe und ich habe es bestimmt noch 20 Minuten gestreichelt und mit ihm gekuschelt.“ Das Leben auf dem Hof hat Anne ausgeglichener gemacht.

In vielen Studien der letzten Jahre beobachten Wissenschaftler ein Land-Stadt-Gefälle in der Lebenszufriedenheit der Menschen. Die Menschen in der Stadt sind weniger zufrieden als die auf dem Land. Einen Erklärungsansatz liefert Tomas Hanell von der Universität Helsinki. Menschen in der Stadt würden etwas mehr nach Erfolg, Geld und Einfluss streben. Dieser höhere Anspruch an das eigene Leben könnte ein Faktor sein, der das Gefälle erklären würde.

„Hier ist alles schon etwas langsamer“, sagt Anne. Vor allem nach der Schule und dem Abitur hat ihr das gut getan. Ein Kontrast zu all der Theorie. Den Wunsch nach Entschleunigung teilen viele Menschen in unserer Gesellschaft. Denn in der bleibt kein Platz für Langsamkeit. Sie erwartet ständige Erreichbarkeit. Den Preis, den wir zahlen: Erschöpfung. „Für ein Jahr jetzt ist das genau das Richtige“, sagt Anne. Nach dem FÖJ möchte sie aber studieren. „Ein bisschen fehlt es mir schon geistig gefordert zu sein.“ Irgendwas mit Nachhaltigkeit. Sie möchte einen Beitrag leisten. Zur Umwelt, zum Tierwohl und für eine bessere Zukunft.

Die Tierversorgung gehört zu Annes täglichen Aufgaben

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Bildquelle: Trinity Kubassek auf Pexels