Wie viel Distanz verträgt eine Freundschaft? Vom Auseinanderentwickeln und Zusammenfinden
„In der Schulzeit sind mir diese Unterschiede nicht aufgefallen, die Gemeinsamkeiten haben die Unterschiede überlagert. Jetzt aber, wo wir nicht mehr in der Schule sind, ich mein Leben führe und sie ihres, merke ich die Distanz und die Sprachlosigkeit, die zwischen uns herrscht und wie weh all das tut. Ich will meine beste Freundin nicht verlieren, aber weiß nicht, wie ich die Kluft zwischen uns überbrücken kann. Ich kann den Elefanten im Raum nicht ansprechen, ich kann nur ausharren, warten und hoffen, dass diese Phase vorübergeht, dass wir wieder zueinanderfinden.“
Es gibt Menschen, die begleiten einen für eine bestimmte Zeit, verschwinden irgendwann aber auch wieder. Sogenannte Freunde auf Zeit. Diese Freundschaften eignen sich besonders gut für bestimmte Lebensphasen. Ganz nach dem Motto: „Du kommst gerade frisch aus einer Beziehung? Ich auch! Lass uns zusammen um die Häuser ziehen.“ Ändern sich die Umstände, die einst zusammenführten, besitzen diese Bekanntschaften oft kein nennenswertes Rückgrat und driften an diesem Punkt meist auseinander. Jeder geht wieder seiner Wege. Freundschaften, die überdauern und vielleicht sogar fürs Leben halten, müssen sich erst beweisen. Hält die Freundschaft den Umzug aus, die Gründung einer Familie, den Jobwechsel, den Übergang von der Jugend ins Erwachsenenalter?
Vom Auseinanderentwickeln…
Nicht immer muss es ein Streit sein, der zum Zerbrechen einer Freundschaft führt. Die Entfremdung kommt auf leisen Pfoten daher und sät beständig ihre Zweifel. Langjährige Freundschaften werden über die Zeit hinweg mit allerlei Veränderungen konfrontiert und manchmal scheitern selbst sie daran. Und das tut dann oft richtig weh, denn was man zu verlieren droht, ist nichts Minderes als ein Stück seiner eigenen Identität. Dementsprechend schlimm ist der Moment, in dem man feststellt, dass man sich gerade auseinanderentwickelt.
Doch muss eine Entwicklung in verschiedene Richtungen immer gleich Anzeichen einer anstehenden Trennung sein? Die Angst vor Veränderung unterliegt schließlich dem Glaubenssatz, dass eine Freundschaft immer genauso bleiben muss, wie sie gerade ist. Und sollte sie sich verändern, dann nur zum Guten, ansonsten stimmt etwas nicht. Doch ist das wirklich so? Muss man Freundschaften als eine Bewegung begreifen, die immer geradlinig verläuft? Und sind es am Ende nicht gerade die überstandenen Herausforderungen, die einen noch enger zusammenschweißen? Daran zeigt sich doch der Gehalt der Freundschaft, dass man nicht aufgibt, wenn es schwierig wird, weil sie es schafft eine gewisse Distanz auch einmal auszuhalten und kreativ darin ist, die Verbindung immer wieder auf neue und alte Weise herzustellen.
Meines Wissens werden Freundschaften so im Laufe der Zeit eher immer stärker und man kommt nicht mehr sofort ins Zweifeln, nur weil wieder einmal eine Veränderung ansteht.
… und Zusammenfinden
Eine Freundschaft kann man mit dem Verlauf zweier nebeneinander verlaufenden Linien verbildlichen. Mal sind sie eng beieinander, mal streben sie auseinander, finden wieder zusammen und immer so fort. Betrachtet man den Gesamtverlauf, liegen die Linien, ob nah, ob fern, immer im Verhältnis zueinander. Sie verlaufen und entwickeln sich entlang derselben Achse.
Dieses Durchhaltevermögen ist es, was meines Erachtens eine richtig gute Freundschaft auszeichnet. Eben weil sie Distanz auch einmal aushält und nicht immer gleich alles hinterfragt, weil man sich auch in schlechten Zeiten beisteht und sich des anderen sicher sein kann. In diesem Sinne stehen Freundschaften Beziehungen in nichts nach. Es bedarf der Pflege und der Regelmäßigkeit, um sie zu erhalten und sie haben gute wie schlechte Zeiten zu überstehen. Was zählt, ist das Endresultat. Und ich rede hier nicht von Freundschaften, die es einfach nicht mehr wert sind, festgehalten zu werden. Ich rede von Freundschaften, die schon lange bestehen, und in denen es bisher gut geklappt hat, denn auch die können einmal durchhängen.
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