Eine junge Frau mit schwarzen Locken hat die Arme um sich geschlungen. Sie wirkt ängstlich.

„Marry your Rapist“-Gesetz: Heirat nach Vergewaltigung

Disclaimer: In diesem Text wird bewusst von Frauen als Opfer und Männern als Täter gesprochen, da die entsprechenden Gesetze, um die es hier geht, lediglich auf diese Fälle ausgelegt sind. Wir sind uns darüber im Klaren, dass auch Frauen sexuelle Straftaten begehen und auch Männer Opfer dieser Gewalt werden.

Noch immer existiert weltweit eine Vielzahl frauenfeindlicher Gesetze: In vielen Staaten dürfen Frauen auch heute nicht arbeiten oder frei reisen, andere Rechtssysteme erlauben Vergewaltigungen in der Ehe, Kinderheirat oder häusliche Gewalt. Eine der schlimmsten Verordnungen ist das sogenannte Marry-your-rapist law – zu Deutsch „Heirate-deinen-Vergewaltiger-Gesetz“. 

Leider versteckt sich hinter diesem Gesetz genau das, was der Name sagt: Opfer sexueller Straftaten werden quasi dazu gezwungen, ihren Vergewaltiger zu heiraten. Der Hintergrund: Ein Täter bleibt straffrei, wenn er sein Opfer anschließend zur Frau nimmt. In einigen Ländern reicht es auch schon aus, die Heirat lediglich anzubieten, um einer Strafe zu entgehen. 

Was klingt wie ein Hirngespinst radikaler Misogynisten, ist in einigen afrikanischen und asiatischen Ländern tatsächlich Realität. Eine Vergewaltigung wird hier als Vorfall angesehen, der eigens in der Verantwortung der Opfer liegt und Schande über ihre Familie bringt  viele Frauen verzichten daher gänzlich darauf, über die Straftaten zu sprechen. Auch die Jungfräulichkeit gilt als hohes Gut, welches bis zur Heirat nicht verletzt werden darf. Indem die Opfer eine Ehe mit ihrem Vergewaltiger eingehen, vermeiden sie das Stigma, das ihnen und ihrer Familie infolge des traumatischen Erlebnisses zugeschrieben werden würde. Das Resultat dieser frauenverachtenden Praktik ist nicht nur die oft lebenslange Bindung an einen Straftäter, sondern auch bleibende psychische Schäden und Schuldgefühle auf Seiten der Frauen. Besonders dramatisch: Einige Männer nutzen das Gesetz aus, um eine Frau „für sich zu gewinnen“, die sie zuvor zurückgewiesen hatte.

Aktuell existiert das „Marry your rapist“-Gesetz noch in den folgenden elf Staaten: Angola, Bahrain, Äquatorialguinea, Eritrea, Irak, Libyen, Syrien, Algerien, Kuwait, Tadschikistan und den Philippinen. Weltweit setzen sich Feminist*innen und Menschenrechtsorganisationen dafür ein, dass die Gesetze abgeschafft werden. Einige Erfolge konnten in den letzten Jahren bereits erzielt werden: So strichen 2017 beispielsweise Tunesien, Jordanien und der Libanon den entsprechenden Artikel aus ihrem Strafgesetzbuch, Palästina folgte 2018. Selbst in Europa, genauer gesagt in Italien, existierte das frauenfeindliche Gesetz bis ins Jahr 1981. Vor geraumer Zeit sorgte ein Vorhaben der Türkei für Misstrauen und Aufsehen: Nachdem das Land im Mittleren Osten sein Marry-your-rapist law 2005 abgeschafft hatte, um die Chancen für einen Eintritt in die Europäische Union zu erhöhen, wurde im Frühjahr 2020 tatsächlich darüber diskutiert, den Paragraphen erneut ins Gesetzbuch aufzunehmen. Der Vorstoß der Regierung löste im ganzen Land Protestbewegungen aus – schon 2016 hatte es eine ähnliche Initiative gegeben, die damals durch den Widerstand von Aktivist*innen und Opposition gestoppt werden konnte. 

Prinzipiell unterscheidet sich die Rechtslage in vielen der betroffenen Länder nur beschränkt von der, die uns aus westlichen Staaten bekannt ist: Vergewaltiger werden von der Gesellschaft verachtet, falls sie verheiratet sind, drohen ihnen Todes- oder lange Gefängnisstrafen. Das eigentliche Problem sind die soziokulturellen Rahmenbedingungen, die gemeinsam mit der Existenz eines solchen Gesetzes ein Schlupfloch für Straftäter bieten. Denn obwohl die Opfer der Heirat letzten Endes immer zustimmen müssen, ist hier keine Entscheidungsfreiheit gewährt. Gesellschaftlicher Druck, Angst vor eventuellen Konsequenzen oder auch die eigenen Ansichten des familiären Umfelds zwingen viele Frauen dazu, das Angebot anzunehmen.

Uns als Europäer*innen, die sich in vielen Belangen als Unschuldsengel schlechthin sehen, fällt es leicht, diese frauenfeindliche Rechtsprechung zu kritisieren. Allerdings sollten wir nicht vergessen, dass auch die westliche Kultur nicht frei von Skandalen ist, wenn es zum Umgang mit Tätern und Opfern sexueller Straftaten kommt. Victim Blaming ist auch hier ein großes Thema – und der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche zeigt erneut, dass wir von einer angemessenen Aufarbeitung und Entstigmatisierung entsprechender Fälle noch weit entfernt sind. Trotz allem gehören die wenigen verbliebenen „Marry your rapist“-Gesetze dringend abgeschafft. Wir können und sollten uns aus unserer privilegierten Position heraus für das Wohlergehen anderer starkmachen: Wer etwas zum Kampf gegen die Gesetze beitragen möchte, kann öffentlich auf das Thema aufmerksam machen oder Organisationen wie UN Women oder Equality Now unterstützen, die sich vor Ort für die Abschaffung einsetzen. 

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Bildquelle: Engin Akyurt on Pexels; CC0-Lizenz