schwarz weiß Foto von Christin Nichols

„Angriff ist die beste Verteidigung“: Christin Nichols im Interview

Christin Nichols erwartet mich kurz vor ihrem Konzert ganz lässig zum Interview. Produzent, Gitarrist und guter Freund Stefan Ernst ist auch dabei. Wir treffen uns im Innenhof der Molotow Bar in Hamburg. Zusammen stehen sie mit Christins erstem Solo Album I´m fine auf der Bühne. Die Musik lässt sich schwer unter einer Kategorie zusammenfassen – sie ist genauso vielseitig, wie die beiden kreativen Köpfe dahinter. Ein bisschen Punk, Elektro aber auch ruhigere Teile. Im Interview erzählen die beiden von der Arbeit am Album, ihrer Freundschaft und Zusammenarbeit, und was sie eigentlich zur Musik gebracht hat. 

zeitjung: Du bist jetzt hier mit dem Soloalbum auf Tour. Wie fühlt sich das an, mit dem eigenen Album hier auf der Bühne zu stehen.

Christin: Ich freue mich natürlich wahnsinnig. Ich bin sehr dankbar, dass Ich das machen darf. Es ist ganz schön, die Resonanz der Leute zu sehen. Wenn man wirklich vor den Leuten steht und dann das Feedback direkt hat. Die gehen mit und einige Leute singen sogar schon die Texte mit. Das ist schon ein sehr schönes Gefühl.

zeitjung: Du hast vorher schon in der Band Prada Meinhoff gespielt. Inwieweit ist das jetzt ein Unterschied?

Christin: Es ist insofern ein Unterschied, dass die Band nur aus zwei Leuten bestand, mein damaliger Kollege und ich. Jetzt habe ich eine richtige Band dabei. Noch vier weitere Musiker, die mich unterstützen und begleiten. Ich spiele selbst auch Gitarre. 

zeitjung: Wie hattet ihr die Idee für das Album? 

Stefan: Es gab schon ein paar Songs, die in Arbeit waren, aber eigentlich ging es erst richtig mit der Pandemie los. Das Jahr 2020 war eigentlich ganz anders geplant und auf einmal war da diese Pandemie. Wir haben uns dann zum Songwriting getroffen und über das Jahr 2020 geschrieben.

Christin: Es hat sich einfach organisch weiterentwickelt. Irgendwann hatten wir so viele Songs, dass wir gesagt haben, das ist reif für ein Album. Ohne es wirklich forciert zu haben.  Und dann haben wir entschieden, wir machen das.

zeitjung: Kanntet ihr beide euch schon vorher? 

Christin: Wir sind schon lange befreundet

zeitjung: Und wie ist die Zusammenarbeit? Wenn ihr sagt, ihr seid auch befreundet, funktioniert das gut oder kriegt ihr euch oft in die Haare? 

Stefan: Eigentlich läuft das sehr gut. (lacht)

Christin: Ja, wir arbeiten echt gut zusammen. Das funktioniert, wie ich finde, sehr geschmeidig. Wenn, dann gibt es inhaltliche Dinge zu bestimmten Stücken, die man vielleicht anders sieht. Aber auch das ist selten, ehrlich gesagt. Wir funktionieren und sind mittlerweile eingespielt.

Stefan: Es gibt Songs, die trägst du lange mit dir rum und weißt selbst noch nicht so ganz, wo die hinführen. Es gibt manche, die gehen schnell von der Hand und da weißt du alles direkt. Und dann gibt es da welche, wo jeder von uns eine eigene Meinung hat und…

Christin: …dann schraubt man da dran. Aber eigentlich kommen wir immer auf den Nenner. Auch mit der Band ist es sehr schön. Wir verstehen uns alle wirklich gut. Wir hängen gerne ab.

zeitjung: Ihr sprecht auch viele wichtige Themen in euren Songs an. Beispielweise der Song „Today I choose Violence“ handelt von alltäglichem Sexismus. Sind das Dinge, die ihr selbst erlebt habt?

Christin: Den Song habe ich geschrieben nach einer Begegnung mit jemandem, der wirklich die komplette zweite Strophe so gesagt hat. Das sind alles Zitate. Der ganze Song besteht aus Zitaten, die ich in meinem Leben gehört habe. Nach diesem Gespräch bin ich so wütend gewesen. Ich musste dann gehen, weil ich so ohnmächtig war. Das Gefühl dieser Ohnmacht hat sich in Wut gekehrt, so dass ich das rausschreiben konnte und dann mit Stefan den Song erarbeitet habe. Aber das sind alles leider wahre Begebenheiten.

zeitjung: Also ist es in deiner Karriere schon öfters passiert, dass Leute dich als Frauen…

Christin: Wir sind Frauen. They judge us all the fucking time. In Amerika ist gerade Abortion ban. Die Kontrolle und das Maßregeln von Frauen und gerade Frauenkörpern und Frauenseelen ist leider immer noch ein Thema. Und da gilt es stark zu bleiben und sich dem entgegenzustellen.

zeitjung: Da habt ihr mit eurer Kunst eine gute Art und Weise gefunden, um das zu verpacken oder zu verarbeiten.

Christin: Genau, und um eben nicht in der Ohnmacht, die man spürt, wenn man solche Sätze um die Ohren gehauen bekommt, bleibt. Das ist ein lifelong struggle. Ich bin besonders froh, dass ich Leute wie Stefan an meiner Seite habe, die alle Feministen und Feministinnen sind, dass wir gleiche Werte vertreten. Unsere Songs sind alles persönliche Songs.

zeitjung: Das Erfordert bestimmt ziemlich viel Selbstbewusstsein, wenn man mit dieser Kunst dann rausgeht und diese Themen anprangert. Da macht man sich ja auch sehr angreifbar.

Christin: Ich glaube Angriff ist die beste Verteidigung. Respektive Flucht nach vorne.  Es ist für mich okay, dass ich mich auf eine Bühne stelle, was ja in der Art und Weise auch ein geschützter Raum ist. Um eben diese Songs an die Leute zu tragen und den Leuten mit der Musik zu signalisieren, dass sie nicht allein sind. Wir sind alle in dieser Scheiße zusammen. 

Stefan: Bedingt durch die Musik, die wir machen, sind diese Themen auch auf eine sehr starke Art und Weise verpackt. Das man daraus auch eine Art Selbstbewusstsein ziehen kann. Zum Beispiel bei dem Song Phoenix. Der beginnt zwar sehr, sehr traurig, düster, aber er baut sich so auf, sodass er am Ende was Positives ausdrückt. Dadurch, wie es arrangiert oder produziert ist, machen wir da nicht nochmal zusätzlich was Fragiles draus.

Christin: Ja, es ist ja eh in sich fragil, weil das Thema sehr persönlich ist und man sich sehr angreifbar macht. Die Gerüste der Songs, die wir darum stricken, geben mir Kraft mit den Themen umzugehen und ich hoffe, dass ich das transportieren kann.

zeitjung: Habt ihr einen Lieblingssong auf dem Album? 

Christin: Bei mir wechselt es immer. Ich stelle ich mir das so vor, wie wenn man Kinder hat. Man hat ein Lieblingskind und am nächsten Tag ein anderes. (lacht) Im Moment ist mein Lieblingssong I´m fine. Den kann ich immer wieder hören. Ich erinnere mich auch gerne an den Videodreh. Stefan ist mit dem Auto und dem DOP vor weggefahren und hat uns im Wald bei Minusgraden gefilmt. Das war sehr schön. Gleichzeitig freue ich mich auch auf die neuen Releases. 

zeitjung:  Stefan, was ist dein Lieblingssong?

Stefan: Ein Favorit, der mir immer irgendwie durch den Kopf geistert, ist Bielefeld.  Auch der Song macht eine Entwicklung. Von einer Reise nach Hause, wo man nicht weiß, was soll ich da eigentlich, was ist das, wo gehöre ich hin? Bis man irgendwann merkt, dass es auch schön sein kann und eine Art Frieden damit schließt. Es gibt verschiedene Phasen, wie man über Heimat denkt, die sich in dem Song spiegeln. 

Christin: Man ist jetzt erwachsen und muss dann aber wieder zurück ins Kinderzimmer. Das ist immer weird. Es ist eine lebenslange Aufgabe zu prüfen, wer bin ich, wo gehe ich hin und was mache ich hier? Das hört nie auf, aber das ist auch völlig okay. Wenn man das irgendwann akzeptiert, dann wird’s fine. Das ist vielleicht das Einzige, was ich in 35 Jahren halbwegs verstanden habe, dass man eigentlich gar nichts steuert.

zeitjung: Wusstet ihr schon von klein, dass ihr in die künstlerische Richtung gehen wollt?

Stefan: Ich habe mit 13 angefangen zu lernen und dann war es irgendwann das. Nach dem Abi, dachte ich mir, dass dieser ganze Aufwand, jetzt zu schade wäre, um das irgendwie in die Ecke zu stellen und was Normales zu machen. Da habe ich erst eine Ausbildung gemacht und Musikproduktion studiert. Wenn man so viel in eine Sache reinsteckt, dann hat man immer das Gefühl, wenn man jetzt aufgibt, dann habe ich es verschenkt. Das entwickelt sich immer weiter, denn man kommt immer weiter. Ich hatte auch Glück, dass ich schon während des Studiums in Studios gearbeitet habe. Denn so zwei Wochen nach Ende des Studiums hat ein Bekannter mich an den Produzenten, der damals „Wir sind Helden“ gemacht hat, weitergeleitet. Der hatte ein großes Studio in Berlin und suchte jemand Neues. So bin ich da reingekommen und das war letztendlich der Türöffner

Christin: Ich habe auch ganz früh angefangen Ballett zu tanzen, Klavier zu spielen und auch im Kinderzirkus mitzumachen. Das hat Freude gemacht. Ich habe immer gerne gemacht, wie ich mich gefühlt habe und habe es auch gelassen, wenn ich es nicht mehr cool fand. Ehrlich gesagt, wollte ich eigentlich immer Ärztin werden, war dann aber nach dem Abi so abgefuckt von jeglichen Büchern und Lehrern. Ständig Druck, Druck, Druck. Mit dem konnte ich überhaupt nicht umgehen, so dass ich irgendwas Leichteres machen wollte. Da dachte ich, machen wir mal Schauspielerei. Das war ein großer Fehler, denn da war der Druck so groß wie nie zuvor. (lacht) 

zeitjung: Also warst du auf der Schauspielschule? Wie ging es dann für dich weiter?

Christin: Ja genau. Ich bin vom Theater zum Film, aber eben auch in die Musik. Besonders Freude bereitet, hat mir die Arbeit an der Serie „All you need“. Eine Serie, die von einem Freundeskreis aus Jungs, Mädels und Non-Binarys besteht und vor allem Schwule fokussiert. Die erste, die es je im Öffentlich-rechtlichen gab und das ist ein Meilenstein. Es geht um die Liebe, das Leben, die Höhen und Tiefen. Ich bin sehr froh und sehr stolz, dass ich Teil dieser großartigen Serie bin.

zeitjung: Wenn du dich entscheiden müsstest, Singen oder Schauspielern? Für was würdest du dich entscheiden?

Christin: Kann mich überhaupt nicht entscheiden, weil alles, was ich mache, bin ja immer ich. Und ich mache vieles gerne. Ich wünschte, mein Tag hätte die 100 Stunden, damit ich alles machen könnte, was ich gerne machen will. 

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Bidquelle: Vero Bielinski