„Tausend Zeilen“: Interview mit Jonas Nay

ZEITjUNG: In dem Film wird deutlich, dass es hier nicht ausschließlich, um das Fehlverhalten eines einzelnen Journalisten geht, sondern um das Versagen eines ganzen Medienhauses. Wie denkst du darüber?

Jonas: Es steckt auf jeden Fall auch eine offensichtliche Kritik an dem Führungsduo der Chronik drin, die nahezu verliebt in Lars Bogenius scheint und die keine Zweifel an ihren Schützling heranlassen. Wodurch dann auch Juan Romero mit seiner Wahrheit die ganze Zeit gegen Mauern läuft. Gleichzeitig ist die Chronik da, wo sie ist, weil sie von der Gesellschaft geschätzt wird, aufgrund ihres ehrlichen Journalismus. Also es wird schon deutlich, dass Lars Bogenius das schwarze Schaf ist und dass er sich in einer Umwelt bewegt, die eigentlich ehrenwerten Journalismus betreibt.  

ZEITjUNG: Romero sagt am Ende, dass das zwar pathetisch klingt, aber dass es am Ende auch der Journalismus ist, der solche Missstände aufdeckt. Ich war froh über den Zynismus im Nebensatz, denn im Film, wie in der echten Affäre fällt auf, wie schwer die Menschen sich von der Wahrheit überzeugen lassen. Selbst als Romero Beweise vorführt, glaubt ihm niemand. Es scheint fast so, als glaubten die Menschen das, was sie gerne hören. Ist da was Wahres dran?

Jonas: Ich glaube in uns Menschen und in uns Lesern von zum Beispiel Reportagen steckt schon auch eine Sensationslust. Es geht schon auch darum, wie man eine Reportage schreibt, also um schreiberische Finesse. Es gibt ja verschiedene Arten und Weisen eine Wahrheit zu verpacken und zu erzählen und sie den Menschen schmackhaft zu machen und nahezubringen. Aber es ändert halt nichts am Kern. Der Kern des Journalismus und der Wahrheit, die dort erzählt wird, darf nicht gebogen werden, die muss wahr sein und auch nur dadurch haben diese Texte so einen Impact. Journalistische Texte und Reportagen haben auf mich so einen krassen Einfluss und bewegen mich nur deswegen so sehr, weil ich davon ausgehe, dass mir keine Fiktion vorgesetzt wird, sondern dass ich indirekter Zeuge eines wahren Schicksals werde. Dieses Vertrauen darf nicht betrogen werden. Und wenn, da hat Juan Romero in dem Film recht, dann muss es der Journalismus auffliegen lassen und erbarmungslos offenbaren. Das ist in unserem Film passiert, das ist auch in dem Fall von Stephen Glass damals in New York passiert und beim Spiegel mit dem Fall Claas Relotius. Insofern kann man abschließend sagen, dass sich der Journalismus da selbst immer wieder rehabilitiert, zum Glück.

ZEITjUNG: Schließen Wahrheit und Dramaturgie sich gegenseitig aus?

Jonas: Nein, überhaupt nicht und ich glaube auch, dass es wirklich ein Talent braucht, ein wahres Erlebnis in eine Geschichte zu verpacken. Eine Reportage ist letztendlich auch eine Art Geschichte, sie darf nur halt nicht erfinden, sie muss aus dem, was die Wahrheit hergibt, einen packenden Text machen und den Leser mitnehmen. Für einen Journalisten wie Juan Moreno war das der größte Schlag ins Gesicht, dass der Fall Claas Relotius damals, den Eindruck hätte vermitteln können, dass es Sensation wie Sand am Meer gibt und dass das einem einfach so zufliegen kann. Den Wert von echtem Journalismus kann man nicht relativieren und deshalb ist es gut, dass dieser Medienskandal aufgeflogen ist, damit man wieder diese Wertigkeit von echtem Journalismus, von echter Investigation nicht vergisst.

ZEITjUNG: Wie weit würdet du für die Wahrheit gehen?

Jonas: Bei wirklich gutem Journalismus hat man ja das große Privileg, dass man als Leser nicht sehr weit gehen muss, sondern nur zum Kiosk oder vielleicht auch nur zum Briefkasten. Das ist ja der Grund, weshalb wir dem freien Journalismus so dankbar sein können.

ZEITjUNG: Vielen Dank für das spannende Interview!

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Bildquelle: © 2022 Warner Bros. Pictures