Frau in der Wüste

LiebesLeben: Wenn das Fernweh größer als das Heimweh ist

Das Bedürfnis, gehen zu wollen, hat nichts damit zu tun, dass man nicht gern zu Hause ist. Es bedeutet nur, dass man für einen bestimmten Lebensabschnitt eben lieber woanders wäre. Man muss sich nicht dafür schämen, wenn das Fernweh temporär das Heimweh übertrumpft; wenn der Gedanke an das Unbekannte reizvoller ist als der Gedanke an das Altvertraute. Neue Erfahrungen zu sammeln ist wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung – also absolut nichts, wofür man sich schuldig fühlen müsste.  

„Ich muss jetzt endlich gehen“

Dennoch ist da die Angst, nicht verstanden und vielleicht sogar für die eigene Entscheidung verurteilt zu werden. Die Angst, vor den eigenen Eltern als undankbares Kind dazustehen, das jetzt sein ganzes Erspartes für ein halbes Jahr Südamerika auf den Kopf haut, anstatt weiterhin alles Geld zur Seite zu legen und es irgendwann in etwas „Vernünftiges“ zu investieren – in Möbel oder in ein Auto zum Beispiel. Aber deine Eltern haben das Geld, das du jetzt fürs Reisen ausgibst, nun einmal für dich und nicht für sich selbst gespart. Das bedeutet folglich, dass allein du entscheiden kannst, wofür du es verwendest.

Vielleicht ist es aber nicht nur die Angst davor, nicht verstanden oder als undankbar abgestempelt zu werden, die uns die Entscheidung erschwert. Vielleicht spielt auch die Angst davor, dass es kein Zurück mehr gibt, sobald man einmal gegangen ist, mit hinein. Die Angst davor, dass die Dinge nie wieder so sein werden, wie sie vor der Abreise waren.

Einerseits entwickelt man selbst sich natürlich weiter, wenn man monatelang in einer anderen Kultur ist, von anderen Menschen umgeben, hochkant rausgeschmissen aus der eigenen Komfortzone. Man wird wahrscheinlich nicht als dieselbe Person zurückkehren, als die man aufgebrochen ist.

Andererseits bleibt auch das Leben zu Hause nicht stehen. Vier Monate, sechs Monate oder ein ganzes Jahr – je nachdem, wie lange man fortbleiben will – sind eine lange Zeit, in der sich viel verändern kann. Einige Freund*innen ziehen vielleicht in eine andere Stadt, ältere Geschwister bekommen möglicherweise Kinder, Großeltern könnten versterben und wenn man zurückkehrt, findet man womöglich einen Ort vor, der plötzlich völlig fremd geworden ist.

Und dann wäre da noch diese Sache, die häufig unausgesprochen bleibt, weil man sie so fürchtet, die aber dennoch passieren kann: Dass der*die Partner*in sich neu verliebt. Oder sich ebenfalls weiterentwickelt und einfach so zu dem Schluss kommt, dass er*sie diese Beziehung nicht mehr führen möchte.