Ein blaues Mehrfamilienhaus

Räume machen Leute? Wie städtische Orte soziale Ungleichheit reproduzieren

Wenn von stadtspezifischen Problemen die Rede ist, werden diese immer wieder mit ganz bestimmten städtischen Räumen in Verbindung gebracht. Dann ist zum Beispiel die Rede von „Problembezirken“, wo die Armut groß und die Kriminalitätsraten hoch sind, oder auch von „Frauen-Angsträumen“, an denen das Risiko, von sexualisierter Gewalt betroffen zu sein, besonders hoch ist oder zumindest scheint. Man bekommt fast den Eindruck, solche Orte seien naturgegeben mit ebendiesen Problemen und Risiken behaftet. Auch Gruppen, die vermehrt in problembehafteten Vierteln leben, wie beispielsweise die zu großen Teilen migrantisch geprägte Bevölkerung der Pariser Banlieues, werden so häufig stigmatisiert und in feste Kategorien gesteckt.

Wer zieht wohin?

Dabei beeinflussen sich die soziale und die räumliche Ordnung gegenseitig und sind in erster Linie Ausdruck sozialer Machtverhältnisse. Wer sich wo ansiedelt, hängt ab von dem Kapital, das den Menschen verfügbar ist. Der Soziologe Pierre Bourdieu unterscheidet drei Kapitalsorten: ökonomisches Kapital, also vor allem das Einkommen, kulturelles Kapital, sprich Bildung und soziales Kapital, also Beziehungen. Auf diese Weise findet durch die Wohnort-Wahl bereits eine räumliche soziale Segregation statt. Die soziale Position wird also ins Räumliche übersetzt und drückt sich dort in der gebauten Umwelt, sowie den Lebensstilen in verschiedenen Räumen aus. Etwas konkreter kann man sagen: Menschen, die eher ungebildet und arm und noch dazu wenig vernetzt sind, werden sich mit hoher Wahrscheinlichkeit an Orten ansiedeln, wo andere Menschen in ähnlichen Situationen leben. Umgekehrt genauso: An eine schicke Wohnung in guter Lage kommt meist nur, wer finanziell gut gestellt ist und mit den Tücken des Wohnungsmarktes umzugehen weiß.

Leute machen Räume…

Die Menschen, die in einem Raum leben, prägen also diesen und einander. Das ist erstmal logisch: Wo die Bewohner*innen arm sind, werden kaum teure Renovierungsarbeiten durchgeführt. Kommen viele gebildete und wohlhabende Menschen in einem Viertel zusammen, wird sich das auch im kulturellen Angebot zeigen. Der Prenzlauer Berg wäre ohne die zugezogenen schwäbischen Kleinfamilien schließlich nicht das, was er heute ist – zum Leidwesen so mancher Ur-Berliner*innen.

…und umgekehrt

Was aber oftmals vergessen wird, ist, dass die Räume auch ihre Bewohner*innen prägen. Wenn wir als Gesellschaft arme Menschen gerne mal für ihre Situation selbst verantwortlich machen und uns als Einzelne einbilden, uns unsere gute soziale wie räumliche Position ganz alleine erarbeitet zu haben, machen wir es uns zu leicht. Natürlich gibt es einen gewissen Veränderungsspielraum und genügend Beispiele von Menschen, die es aus einem ärmlichen Viertel herausgeschafft und jetzt ein schickes Häuschen haben – besonders häufig passiert das jedoch nicht. Wenn wir denken, es käme vor allem auf den Charakter und das Mindset einer Person an, ob sie sozial aufsteigt oder nicht, ist das zwar nicht falsch, heißt aber auch nicht, dass die Umgebung damit nichts zu tun hat. Unsere Werte, Angewohnheiten und Denkmuster sind zu einem großen Teil nicht angeboren, sondern werden geprägt durch unser soziales Umfeld und sind biographisch erlernt. Bourdieu bezeichnet das als „Habitus“. So kommt es, dass nicht nur bestimmte Werte und Lebensstile, sondern auch Positionen im sozialen Raum oft über Generationen hinweg weitergegeben werden. Der Ort, an dem wir leben, spielt bei dieser Prägung eine nicht zu vernachlässigende Rolle, denn er beeinflusst, welche sozialen Beziehungen wir haben, welche (kulturellen) Angebote uns zu Verfügung stehen und wo wir uns selbst in der Gesellschaft verorten.