Nika Irani

Nika Irani tritt #Deutschrapmetoo-Welle los

Vertrauensvorschuss

In der gesamten Diskussion soll und darf es nicht darum gehen, dass eine Falschanschuldigung möglich ist, sondern dass Frauen endlich Glauben geschenkt werden muss, wenn sie den Mut aufbringen über sexuellen Missbrauch zu sprechen. Wo bleibt die Solidarität, die so viele nach dem Eklat um Männerwelten bekundeten? Sexuelle Nötigung, sexueller Missbrauch, Vergewaltigungen, verbale und körperliche sexuelle Übergriffe sind gerade für Frauen die grausame Realität: Jede 7. Frau ist in Deutschland von sexualisierter Gewalt betroffen, sexuelle Belästigung ist dabei nicht einmal mit einberechnet. Es braucht endlich ein kollektives Verständnis dafür, dass man Opfern einen Vertrauensvorschuss geben muss, um den mutmaßlichen Tätern deutlich zu signalisieren, dass ihre Taten auch Konsequenzen haben.

Wie sollen Opfer sexueller Gewalt in unser Rechtssystem vertrauen, wenn ihnen zum einen schon gesellschaftlich kein Glauben geschenkt wird und zum anderen die Schuld ständig bei ihnen gesucht wird. Wenn man schon weiß, dass gerade einmal fünf Prozent der Sexualstraftaten zur Anzeige gebracht werden, nur acht Prozent der Frauen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben, die Polizei einschalten, weil lediglich 13 von 100 angezeigten Vergewaltigungen verurteilt werden, verwundert es sich sonderlich, dass viele den Schritt nicht wagen. Eine rechtliche Verurteilung sagt also wenig über die Wirklichkeit aus. Hätten wir Harvey Weinstein bis zur letzten Verurteilung glauben sollen, dass er unschuldig ist? Ich denke nicht. Von Anbeginn war es wichtig und richtig, den zahlreichen Frauen, die sich getraut (!) haben, ihre Erfahrung öffentlich zu machen, Glauben zu schenken.

Die Unschuldsvermutung ist natürlich gerichtlich wichtig, aber doch nicht für Privatpersonen, wenn der Preis dafür ist, dass Frauen nur geglaubt wird, wenn es zu einer Anzeige und dann zur Verurteilung kommt. Genau das bringt Betroffene schließlich erst dazu, keine Anzeige zu machen, wenn sie wissen, dass es keine Beweise gibt oder nur unzureichende – mal ganz abgesehen von der psychischen Belastung eines Verfahrens. Ist die Tat dann nicht passiert oder kann der Täter einfach nur nicht dafür belangt werden? Warum wollen wir Frauen erst glauben, wenn es zu einer Verurteilung gekommen ist, obwohl wir die hohen Zahlen von Missbräuchen kennen? Wir schützen damit einzig und alleine die Täter und nicht diejenigen, denen der Schutz und in diesem Fall der Vertrauensvorschuss gewährt werden müsste. Während die Unschuldsvermutung besteht, muss man Opfern dahingehend vertrauen, dass sie die Wahrheit sagen!

Du bist selbst von sexueller Gewalt betroffen? Hier sind hilfreiche Anlaufstellen:
– Anonyme und kostenfreie Hilfe-Nummer bei sexuellem Missbrauch: 0800-22 55 530
Hilfeportal zu sexuellem Missbrauch 

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Bildquelle: Nika Irani, Instagram