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Love Sex, Fuck Sexism – Der Slutwalk kämpft für Feminismus

Nachdem sich 2011 ein Polizeibeamte bei einer Universitätsveranstaltung zum Thema Prävention von Verbrechen in Toronto mit den Worten „Frauen sollten vermeiden, sich wie Schlampen zu kleiden, um nicht zum Opfer zu werden“ äußerte, sprossen kurz darauf die Slutwalks aus dem Boden. Es entstand der bis heute weltweit aktive Diskurs um „Rape Culture“ und damit eine Bewegung gegen sexuelle Übergriffe an Frauen und deren gesellschaftlich legitimierter Verharmlosung. In Deutschland gibt es derzeit noch einen aktiven Marsch der Schlampen und zwar in München.

 

Schlampe aus Solidarität

 

Patrick Becker (28) ist seit 2013 Mitglied der Organisation des Slutwalks München und „Schlampe aus Solidarität“. Seine damalige Freundin machte ihn auf das Thema aufmerksam und seither liegt es ihm am Herzen, Feminismus und sexuelle Selbstbestimmung so an Mann und Frau zu bringen, dass es auch jene erreicht, die wie er selbst damals glaubten, alles wäre cool. Schauen wir uns aber die Statistiken an, die dieses Jahr beim Slutwalk vorgestellt wurden, wird schnell klar, dass nicht alles cool ist. Wenn im 21. Jahrhundert 27% der Europäer*innen der Meinung sind, dass nicht einvernehmlicher Geschlechtsverkehr in bestimmten Situationen vertretbar sei, zeigt das nur zu deutlich, wie viel wir noch in Sachen Gleichberechtigung zu tun haben. „Es gibt eine Menge Vergewaltigungsmythen“, sagt Patrick, „und diese gilt es aufzudecken.“ Vor allem die Vorurteile Ausländern gegenüber oder die Vorstellung vom anonymen Perversen, der dir nachts auflauert, wollen die Veranstalter des Slutwalks aufklären. Denn 80% der Sexualdelikte in Deutschland werden von Deutschen begangen und die meisten Opfer kennen ihre Täter.

 

Den Widerstand feiern

 

Trotz dieser schwerwiegenden Themen fühlte sich der Slutwalk eher wie eine Party an, leicht bekleidet unter praller Sonne und mit zauberhafter musikalischer Untermalung marschierten Feminist*innen tanzend durch Münchens Straßen. „Wir wollen den Opfern sexualisierter Gewalt zeigen, dass sie nicht allein sind, dass es eine Menge Menschen gibt, die sich für sie einsetzen“, sagt Patrick. Mit Musik und Glitzer schafften es die Teilnehmer*innen vom Slutwalk ein Gefühl von Empowerment zu verbreiten. „Wir feiern, dass es Widerstand gibt.“ Zumal es immer wieder kleine Erfolge zu bejubeln gibt: das 2016 eingeführte Gesetz zur Aktualisierung des Sexualstrafrechts kommt vielleicht spät, ist aber für viele Opfer ungemein wichtig. „Nein heißt Nein.“ Dass wir ein Gesetz brauchen, welches den Opfern sexualisierter Gewalt die Glaubwürdigkeit über die Ablehnung gegen den an ihnen vollzogenen Verbrechen zuspricht, zeigt mal wieder, wie gesellschaftlich verankert Sex als Machtinstrument doch ist.

 

Über Sex und Pizza

 

„A hoe can say no.“ Leichte Kleidung ist ebenso wenig eine Einladung zum Sex, wie allein auf der Straße zu spazieren. Auch eine Schlampe darf wählen, mit wem sie schläft und nur, weil du Pizza magst, gibt mir das noch lange nicht das Recht, sie dir gewaltsam in den Rachen zu schieben. Adressiert sind diese Aussagen hauptsächlich an Männer, schließlich werden 99% der sexuellen Übergriffe auch von ihnen begangen. Trotzdem ist es für viele Männer unbegreiflich, warum sie sich für Gleichberechtigung der Geschlechter einsetzen und Teil der feministischen Bewegung sein sollten.

„Männer sind sich ihrer Privilegien bewusst und haben oft Angst, dass man ihnen etwas wegnimmt und dann rasten alle völlig aus, wegen einer Frauenquote“, erklärt Patrick. Deshalb wird verzweifelt festgehalten an religiösen oder kulturellen Wertvorstellungen, die Frauen degradieren und entmutigen. Deshalb wird behauptet, die wirtschaftliche Benachteiligung von Frauen durch Unterbezahlung könne nicht von heute auf morgen abgeschafft werden. Deshalb ist Gewalt an Frauen im privaten, sowie im öffentlichen Bereich immer noch legitim – siehe Victim blaming und das Anzweifeln der Aussagen eines Vergewaltigungsopfers. Das ist das Ergebnis eines Systems der Gewaltherrschaft.

 

 

Der Mann ist wichtig für den Feminismus

 

Dabei werden wir durch konservative Rollenverständnisse alle in Strukturen gepresst, die es aufzubrechen gilt, schließlich leiden nicht nur Frauen unter Sexismus. Sexismus ist nämlich kein männliches Problem. Sexismus ist ein menschliches Problem. So lange Männer immer noch in Rollenbilder hinein erzogen werden, deren positive Verstärkung über die Degradierung anderer funktioniert, wird sich auch daran nichts ändern. Das Verhältnis der Geschlechter lebt im Gleichgewicht. Allein das Loslassen von Schönheitsfehlern der täglich stattfindenden gesellschaftlichen Theateraufführung, erweitert den Raum für neue Denkansätze. Was bleibt übrig, wenn wir uns indoktrinierten Erwartungen entziehen? Menschen, die eine Identität suchen, die abhängig sind von Liebe und Wertschätzung. Darum ist der Mann sehr wichtig für den Feminismus; denn dieser zielt auf die Befreiung aller ab.

 

Eine ganz besondere Zeit

 

Patrick und ich sind uns einig, dass momentan sehr viele spannende Dinge in Sachen Feminismus passieren, was vor allem für eine Generation, welche die Bewegungen der 70er verpasst hat, etwas ganz Besonderes ist. Allein, weil wir es unseren Vorreiter*innen, unseren Kindern und vor allem uns selbst schulden, gilt es diesen Kampf um Befreiung weiterzuführen.

„Und wir müssen uns noch von so viel mehr befreien“, schreibt Rebecca Solnit in ihrem Buch „Wenn Männer mir die Welt erklären“. „Vielleicht von einem System, das Konkurrenz und Rücksichtslosigkeit, kurzfristiges Denken und krassen Individualismus hochhält, einem System, das der Umweltzerstörung und grenzenlosem Konsum beste Dienste leistet – jenem Arrangement, das man Kapitalismus nennen kann.“

 

„Deshalb betreibt man Aktivismus“

 

Schon jetzt hat das Team vom Slutwalk München mit den Vorbereitungen für die nächste Veranstaltung begonnen, einen festen Termin gibt es auch: den 21. Juli 2018. Patrick ist optimistisch. „Ich liebe diese Welt“, sagt er, „genau deshalb betreibt man Aktivismus. Um sie schöner zu machen.“ Inspiriert durch einen Menschen, dessen Kampfgeist ich bewundere, gehe ich aus diesem Gespräch. Vielleicht ist es das schöne Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gruppierung, die nicht desillusioniert in den Seilen hängt, sondern unaufhörlich bereit ist, für eine bessere Zukunft zu kämpfen. Ein Blick auf meinen Teppich zeigt noch ein paar Glitzerreste der letzten Veranstaltung. Eins ist klar: der Slutwalk hat sichtbare Nachwirkungen und ich bin heilfroh, dass es ihn gibt.