Wie aus einer Bahnfahrt ein Horrortrip wurde. Bild: Pixabay

Horrorstory: Die schlimmste Bahnreise meines Lebens

Zuerst checkte ich in der App, wie ich weiter nach Hause komme, denn meinen Anschluss in München würde ich sicher verpassen. Glück gehabt! Es gibt noch Verbindungen, zwar mit Bus und Zug, aber besser als gestrandet zu sein. Um nicht in der Kälte auf dem Gleis warten zu müssen, begab ich mich in das Bahnhofsgebäude. Dieses war genau so elegant und gemütlich wie jedes andere Bahnhofsgebäude, nämlich überhaupt nicht. Grelles Licht aus Neonröhren erleuchtete den Raum, in dem wenige andere Menschen warteten. Ein Gruppe Jugendlicher kam immer wieder herein, ging wieder hinaus, die Schiebetüren öffneten sich ständig, es zog ein kalter Wind. Die Jugend Jenbachs wartete nicht etwa auf einen Zug, sondern hatte die Bahnhofsvorhalle und Gleis 1 als Partylocation für ihren Sonntagabend ausgewählt. Einer hatte eine Bluetooth-Box wie eine Tasche umgehängt, so groß, dass es ein Wunder war, dass er nicht zur Seite umkippte. Daraus dröhnten schlechte Techno-Remixes von Popsongs und die niveaulosesten Deutschrap-Songs. Und wenn sie nicht zur Musik wippten und mitsangen, gab es wohl weltbewegende Dinge zu diskutieren, big drama und jede*r von ihnen natürlich ganz wichtig. „Junge, ich hab gesagt, komm Jenbach Bahnhof, was willst du von mir“, schreit ein Mädel in ihr Handy, als sie an mir vorbeiläuft.

Ich seufze auf meinem unbequemen Sitz aus dünnen Metallstreben und versuche, die Zeit so schnell wie möglich vergehen zu lassen, indem ich mein Buch lese. Doch so richtig kann ich mich nicht auf die Geschichte einlassen, ständig schaue ich auf, behalte meine Taschen im Blick und versuche die Situation im Blick zu behalten, denn nicht nur der Alkoholpegel der jungen Gruppe, sondern auch die Aggression steigt mit jeder Minute. Ich fühle mich unwohl, unsicher, kann die Situation nicht richtig einschätzen. Schubsen sich die Jungs dahinten spaßmäßig oder endet das gleich in einer Schlägerei? Die sind ganz schön nah am Gleis. Was wenn da jetzt ein Zug einfährt? Ich will einfach nur in mein Bett und mich nicht um diese Kiddies sorgen.

Während ich dasitze, keine bequeme Position finde und jede Minute sich zieht wie altes, zähes Kaugummi, wächst die Verspätung auf der Anzeigentafel immer weiter. Aus 90 wurden 100 Minuten, dann 110, dann 120. Je größer die Verspätung, desto dünner meine Nervenbahnen. Am liebsten hätte ich jetzt eine warme Suppe und würde dann ins Bett fallen, stattdessen gibt es harte Semmeln und die Aussicht auf noch fünf Stunden Reise. Laut aktuellem Plan würde ich um 2 Uhr morgens daheim ankommen.

Weil ich mich sowieso nicht auf mein Buch konzentrieren kann und mich ein wenig unsicher fühle, rufe ich einen Freund an. Ich staube mir erst mal eine ordentliche Portion Mitleid ab, da steigt die Moral schon wieder. Während wir telefonieren, schweift mein Blick hinüber zur Anzeigetafel, auf der so langsam alle Zahlen und Infos vor meinem Auge verschwimmen. Ich schaue noch einmal genau, schaue auf die Uhr (wieso haben die eigentlich eine Digitalanzeige?) und schaue wieder auf die Anzeige. „Warte mal, mein Zug fährt gleich! Ich muss los!“, rufe ich in mein Handy und lege auf. Hastig schnappe ich alle meine Taschen und beginne meinen Sprint in Richtung Gleis. Vor lauter Selbstmitleid ist die Zeit nun doch vergangen, ohne dass ich es bemerkt habe. Mein Zug fährt in zwei Minuten. „Da hätten sie aber auch eine Durchsage machen können“, denke ich mir, „es kamen ja auch sonst ständig welche“. Ich sehe den Zug einfahren, als ich die Treppe hochsteige. Ich mobilisiere meine letzten Kräfte und jogge zum Zug. Drücke den Knopf, um die Tür zu öffnen. Nichts passiert. Ich drücke nochmal. Und nochmal. Nichts. Die Tür bleibt geschlossen. Vielleicht ist sie kaputt. Ich sprinte zur nächsten Tür, rufe dabei irgendetwas, in der Hoffnung, dass mich ein Zugbegleiter hört. An der nächsten Tür drücke ich wieder den Knopf. Und auch hier: keine Reaktion. Es pfeift und der Zug setzt sich langsam in Bewegung. Er fährt davon, während ich meine Hand noch an der Tür habe.