Positives Denken

Positive Affirmationen – Tatsache oder Hippie-Gequatsche?

Positive Affirmationen sind positive Gedanken, die man sich immer wieder selbst eintrichtert. Viele Menschen sind der Überzeugung, dass eine positive Einstellung ein Garant für ein gutes Leben ist – und dass einem automatisch Gutes widerfährt, wenn man an das Gute glaubt. Ist das wahr – oder ist es nur Hippietum?

„I hope I’m gonna get in“, sage ich zu meiner Gesprächs- und aktuellen Reisepartnerin in Bezug auf das Masterstudium, für das ich mich gerade beworben habe. Sie ist Chilenin, 28, sehr temperamentvoll und weise zugleich.

„Don’t say ‚I hope‘. Say ‚I will‘“, antwortet sie mir.

Dann beginnt eines der klassischen Hippie-Gespräche, die Backpacker untereinander häufiger führen, wenn sie im Hostel aufeinandertreffen: Über positive Affirmationen, die Kraft der Gedanken und Spiritualität.

Sie sagt, dass sie glaubt, dass man das anzieht, was man in die Welt hinausträgt. Dass die Gedanken, die man hegt, einen Einfluss darauf haben, was einem widerfährt. Nach dem Motto: Wenn du ein positiver Mensch bist, werden dir positive Dinge passieren. Und andersherum: Wenn du ein negativer Mensch bist, werden dir negative Dinge passieren. Das Gute wird seinen Weg zu dir finden, wenn du eine positive Einstellung hast – und bla, bla, bla.

Ich kenne einige Menschen, die daran glauben. Sie nennen es „das Universum“.

Andererseits kenne ich auch viele Menschen, die der Meinung sind, dass all diese Dinge zwar schön klingen, aber leider nicht wahr sind – und dass es einfach ist, positiv zu denken, wenn man ohnehin schon das Glück hat, ein Leben zu führen, das nicht von großen Problemen wie Krankheiten, Geldsorgen oder tragischen Familiengeschichten geprägt ist.

Zugegebenermaßen verstehe ich diese Seite gut. Natürlich ist es leichter, positiv zu denken, wenn das eigene Leben in weiten Teilen von Glück geprägt ist. Ich stufe mich selbst als absoluten Glückspilz in der Lotterie des Lebens ein, und aus dieser privilegierten Perspektive heraus ist es schwierig, sich ein Urteil darüber zu erlauben, ob das Leben anderer Menschen, die in ähnlichen Verhältnissen aufgewachsen sind wie man selbst, nur schlechter als das eigene zu sein scheint, weil sie dem Leben gegenüber negativ eingestellt sind.

Aber was ich sagen kann, ist, dass es für mich persönlich einen großen Unterschied gemacht, dass ich meine Einstellung geändert habe. Was ich weiterhin sagen kann, ist, dass ich mich weigere, zu glauben, dass im Leben eines durchschnittlichen, in Deutschland geborenen Menschen eine längere Periode eintreten kann, in der es keinen einzigen Moment gibt, dem man etwas Gutes abgewinnen kann.

Im Prinzip ist die Frage danach, ob man an „das Universum“, positives Denken und den Effekt positiver Affirmationen glaubt, eine Neuauflage einer der uralten Fragen der Philosophie: nämlich der Frage danach, ob das Sein das Bewusstsein bestimmt, oder ob das Bewusstsein das Sein bestimmt.

Ich glaube, dass beides gewissermaßen der Fall ist. Natürlich geben positive Dinge, die mir widerfahren, mir neues Selbstbewusstsein. Umgekehrt sind mir aber auch erst vermehrt positive Dinge widerfahren, seitdem ich an meiner Einstellung gearbeitet und versucht habe, die positiven Dinge zu sehen, anstatt den negativen Dingen derart viel Aufmerksamkeit zu widmen. Und zumindest eines kann ich mit Sicherheit sagen: Man ist definitiv empfänglicher für kleine positive Momente, wenn man der Überzeugung ist, dass einem gute Dinge widerfahren.

Bei positivem Denken geht es nicht darum, negative Erlebnisse totzuschweigen. Es geht darum, sie anders einzuordnen und zu lernen, aus jeder Erfahrung eine Lehre ziehen zu können und stärker zurückzukommen.

Das Gleiche gilt für die bloße Möglichkeit, Enttäuschungen zu erfahren. Früher hätte ich mich niemals getraut, überhaupt damit zu rechnen, dass ich meinen Wunschstudiengang bekomme. Ich hätte nichts erwartet, um nicht enttäuscht zu werden. Und ich glaube, dass leider viele Menschen nach diesem Credo leben: Wenn ich nichts erwarte, kann ich nicht enttäuscht werden.

Aber das ist nicht wahr. Denn ganz ehrlich: Enttäuscht ist man trotzdem. Und allein der bloße Gedanke, etwas zu bekommen, was man möchte – selbst, wenn man es letztendlich vielleicht nicht bekommt, weil das Universum andere Wege für einen bereithält – verleiht Energie.

„You’re right“, sage ich zu meiner chilenischen Reisepartnerin, „I will get in.“

Mehr zum Thema:

Folge ZEITjUNG auf FacebookTwitter und Instagram!

Bildquelle: Pexels von cottonbro; CC0-Lizenz