Über das Heimkommen: Warum deinem Dorf dein Großstadt-Ich völlig egal ist

Während es in der Großstadt häufig um Selbstdarstellung und Coolness-Faktor geht, kannst du auf dem Dorf – oder besser gesagt in deinem Dorf – niemandem etwas vormachen. Du bist derjenige, der du schon immer warst, egal, ob du jetzt in der fancy Großstadt oder noch daheim wohnst. Allerdings kannst du daheim auch deine peinliche Seite ausleben, während du in der Großstadt sehr oft auf deine Attitude oder einen Insta-Account achtest – und dich so verhältst, wie du glaubst, dass du sympathisch wirkst. Auch wenn man in der anonymen Großstadt manchmal versucht den kunstbeflissenen und Trenchcoat bemantelten Intellektuellen zu spielen, braucht du das in seinem Dorf noch nicht mal annähernd zu versuchen. Deinen Kumpels von früher sind deine Insta-Follower egal. Du kommst nach Hause und bist sofort wieder der Alte – obwohl du in der Zwischenzeit viele neue Leute kennengelernt und Erfahrungen unterschiedlichster Art gemacht hast. Dieser Cut wird natürlich besonders deutlich, wenn du nach Hause fährst. Wenn man den Zug Richtung Heimat nimmt, vom Schnellzug in die Bimmelbahn umsteigt und von ganz vielen Lichtern irgendwann nur noch durch die schwarze Nacht fährt.

Dein altes Ich holt dich immer ein

An diesem Ort haben früher auch mal deine Freunde gelebt. Sie feierten in heruntergekommenen Großraumdiscos, von der man hier in der hippen Großstadt noch nicht mal erzählen will, hörten Marteria abends am See und hatten ihre ersten Abstürze auf der Garagen-Party der besten Freundin. Wenn du heimfährst, holt dich dein altes Ich automatisch ein, ob du es willst oder nicht. Egal, wo du aktuell wohnst oder ob du gerade dabei bist, dich neu zu erfinden. Besonders deutlich merkt man das beim Feiern. Während man nun in fancy Clubs oder Bars geht und Moscow Mule und Gin Tonic trinkt, kann man im Dorf oder in der Kleinstadt nur so richtig feiern, wenn Kirchweih ist. Dann kommen aus der weiten Welt alle wieder nach Hause, egal, wie busy jeder gerade ist.

Die neue Stadt ist auch ein Ausblick über den Tellerrand

Während du in den letzten Jahren noch so richtig drin warst in dieser Welt, kommst du nun, nachdem du für Studium oder Job weggezogen bist, von weiter her und siehst dadurch vieles mit Distanz. Die Menschen in der näheren Umgebung betrachtest du nun von außen, reflektierst und denkst dir, wie uncool du doch die letzten Jahre warst, während du dich für diese Authentizität und Ehrlichkeit im gleichen Moment feierst. Du merkst auch, wie wohl du dich erstmal fühlst, ankommst, in deinem Kinderzimmer und in deinem Bett schlafen kannst. Augenscheinlich einfach alles wie immer ist. Doch mit der Zeit wird dir bewußt, wie du dich verändert hast, wie du Meinungen nicht mehr teilst und auch zu manchen Freunden ein Stück weit den Draht verloren hast. Denn während du häufig eine neue Sicht auf Dinge bekommst, weil du dich an einem fremden Ort befindest, entwickelten sich manche der dageblieben Freunde nicht weiter und blieben in ihren alten Mustern haften.

Eine ständige Reise zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart

Wir haben nun zwei Welten und stellen uns immer wieder neu, wie ein Chamäleon, auf jede der beiden ein. Doch gerade das finden viele toll, haben auf der einen Seite ihre Heimat auf dem Land, die sie wie ihre Westentasche kennen. In der sie alte Freunde im kleinen Café am Marktplatz treffen und sonntags zum Mittagessen bei den Großeltern sind. Auf der anderen Seite lieben viele die anonyme Großstadt mit all ihren Cafés, Bars und Szene-Clubs. Haben die Möglichkeit, so viele neue Leute kennen zu lernen, für die sie ein unbeschriebenes Blatt sind und können sich selbst von einer vollkommen neuen Seite kennen lernen.

Menschen vom Dorf haben nun zwei Leben und zwei Welten. Ich persönlich betrachte das als ungemeinen Reichtum, will meine neue, aufregende Welt in der Großstadt nicht missen und will, wann immer ich Lust auf wohlige Heimat habe, mich in den Zug setzen und nach Hause fahren.

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Bildquelle: Tobi Dami unter cc0-Lizenz