Keine Angst vor der Angst: „Wir dürfen alle Gefühle fühlen und ausleben“
Mit der Angst ist es so eine Sache – wir alle kennen sie. Als Kinder haben wir uns vielleicht vor den Monstern unterm Bett gefürchtet, als Erwachsene gibt es auch genug Situationen oder Sachen, die uns Angst machen. Dass es keine Monster gibt, wissen wir nun. Aber vielleicht fürchten wir uns vor Spinnen oder Höhen. Angst – was ist das eigentlich für ein Gefühl? Als erwachsene Peron verlieren viele Dinge ihren Schrecken, sobald wir eine rationale Erklärung dafür haben – das funktioniert zumindest bei Monstern. Aber Kinder denken hauptsächlich emotional und deshalb müssen wir anders damit umgehen lernen.
Was wäre, wenn die Angst gar nicht so groß und bedrohlich ist, wie sie sich anfühlt? Was, wenn sie ein kleiner, zarter und durchaus ängstlicher Schmetterling (der Angsterling) wäre, den wir im Bauch spüren, wenn wir Angst haben? Und was wäre, wenn wir uns mit dem Gefühl der Angst nicht allein gelassen fühlen, sondern uns ein kleines Einhorn namens Fritz Flatterbauch hilft, dass wir der Angst auf eine neue Art begegnen und sie annehmen als das, was sie ist – als Teil von uns, der dazugehört und der sein darf. Genau darum geht es in dem zauberhaften Kinderbuch „Fritz Flatterbauch und der Angsterling“ von Sermina Wallner, welches auch Erwachsene tief in der Seele berührt. Wir haben Sermina zum Interview getroffen und mit ihr übers Fühlen, Wachsen und Träumen gesprochen.
ZEITjUNG: Kannst du ein paar Sätze zu dir und deinem Background erzählen?
Sermina: Ja klar. Ich bin gerade Autorin, Verlegerin, Zweifachmama, Hundemama, Ehefrau… vor all dem war ich als psychologische Beraterin tätig mit dem Schwerpunkt systemische Arbeit und Systemaufstellungen. Aber mein Herz schlägt schon seit der Grundschule fürs Schreiben, und jetzt habe ich mir diesen Traum endlich verwirklicht.
ZEITjUNG: Du hast ja nicht nur ein Buch geschrieben, sondern gleich noch einen ganzen Verlag dazu gegründet. Wie kam es dazu? Was ist deine Vision?
Sermina: Die Entscheidung ist schnell gefallen. Ich wollte nicht Jahre warten, bis mein Buch vielleicht von einem Verlag angenommen wird, der dann über alle Rechte verfügt und mir einen kleinen Obulus auszahlt. Ich wollte zum Beispiel selbst entscheiden, wer meine Bücher illustriert. Der andere wichtige Punkt ist aber genau das, was du mit der Vision angesprochen hast. Ich wünsche mir, mit dem Waldschnecke Verlag ein Zuhause zu bieten für alle Menschen, die etwas schönes Geschriebenes in die Welt tragen wollen.
ZEITjUNG: Du hast in den Sozialen Netzwerken deine Kalkulation offengelegt, um zu zeigen, was du an einem einzelnen Buch verdienst? Was hat dich dazu bewogen?
Sermina: Das war ehrlich gesagt eine ganz spontane Idee, aus der Tatsache geboren, dass mich einige Leute auf den Preis des ersten Buchs (22 Euro) angesprochen haben. Ich hatte riesiges Verständnis dafür, dass das teuer wirkt. Und ich wollte zeigen: Das ist für mich als kleinen Verlag das absolute Minimum. Um offen zu sein und Vertrauen zu schaffen. Sind wir mal ehrlich: Wie entspannt würden wir alle einkaufen, wenn das jeder so machen würde? Wenn wir uns keine Sorgen machen müssten, ob wir gerade übers Ohr gehauen werden mit einem Wucherpreis? Bei mir weiß jetzt jede*r, was ich an meinem Buch verdiene, und kann entscheiden, ob das für sie/ihn okay ist.
ZEITjUNG: Wie bist du auf die Idee zum Buch „Fritz Flatterbauch und der Angsterling“ gekommen und worum geht es?
Sermina: Meine Grundidee ist, Bücher zu erschaffen für Kinder und Erwachsene, die uns unserem Kern, unserer Seele, wieder näherbringen. Das heißt auch, dass wir alle Gefühle fühlen und ausleben dürfen. Meine Kinder waren es tatsächlich, die mich dazu bewogen haben, mit der Angst zu beginnen. Fritz Flatterbauch und sein Angsterling zeigen uns auf leicht verständliche Art und Weise, dass die Angst kein bedrohliches Monster ist und dass der Weg nicht über das Vertreiben und Verdrängen, sondern über die Integration führt.
ZEITjUNG: Woher kommt deiner Meinung nach das Bild, dass Kinder möglichst wenig „negative“ bzw. sozial unerwünschte Gefühle zeigen sollen?
Sermina: Das ist eine gute Frage. Vermutlich daher, dass wir Erwachsenen schlecht damit umgehen können, wenn es jemand anderem – vor allem unseren Kindern – nicht gut geht. Wir wollen das schnell ändern und fühlen uns für jedes Gefühl verantwortlich. Aber wir sind nicht dafür da, unsere Kinder 24 Stunden am Tag fröhlich zu stimmen, und genauso sind unsere Kinder nicht dazu da, für uns immer gute Laune zu haben. Das wäre nicht echt.
ZEITjUNG: Uns als Kindern wurde es ja so beigebracht: Sei nicht wütend, sei nicht so ängstlich. Was kann denn passieren, wenn wir diese Gefühle ständig unterdrücken?
Sermina: Sie stauen sich auf und platzen an anderer Stelle heraus. Aus unterdrückter Angst kann eine Panikstörung werden, aber auch Aggression, Autoaggression, Kontrollsucht und vieles mehr. Es gibt nicht die eine „Wenn-dann“-Formel, aber klar ist: Es tut nie gut.
ZEITjUNG: Was wünschst du dir für die Zukunft für unsere Generation und die unserer Kinder?
Sermina: Ich wünsche mir, dass wir alle wieder lernen, die Aufs und Abs des Lebens hinzunehmen. Die Wellen zu surfen. Uns treiben zu lassen im Strom des Lebens. Dass unsere Kinder Angst haben dürfen, und dann mutig sein können. Und ich wünsche mir, dass wir alle in unserer Individualität gesehen werden und unsere ganz eigenen Geschichten schreiben.
„Fritz Flatterbauch und der Angsterling“ erscheint am 15. Dezember im Waldschnecke Verlag , wo ihr es direkt vorbestellen könnt. Ab 2023 ist Sermina auch für Lesungen buchbar, zunächst im Raum Bayern.
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Bildquelle: Waldschnecke Verlag